Erfahrungen junger Antifaschisten in der DDR

 “Im Gegen­satz zur Bundes­re­pu­blik ist die DDR ein anti­fa­schis­ti­scher Staat”. Diese Weis­heit wurde jedem Bürger der DDR einge­trich­tert, unab­hän­gig von ihrem Wahr­heits­ge­halt. Wahr ist, dass die Bundes­re­pu­blik der Rechts­nach­fol­ger des Deut­sches Reichs ist und vor allem in ihren Anfangs­jah­ren viele Nazis in Führungs­po­si­tio­nen der Poli­tik und Wirt­schaft saßen. Ebenso wahr ist aber auch, dass es auch in der DDR führende Funk­tio­näre gab, die zuvor NSDAP-Mitglie­der waren, teil­weise mit hohen Führungs­po­si­tio­nen in der Partei oder der Wehrmacht.Erschreckend ist jedoch, dass es vor allem seit Anfang der 80er Jahre in der DDR beken­nende Neona­zis gab, die sich teil­weise sogar inner­halb der Partei-Jugend­or­ga­ni­sa­tion FDJ orga­ni­sier­ten. Die damals so genann­ten “Schei­tel” gaben sich meist diszi­pli­niert und traten vor allem dann in Erschei­nung, wenn es gegen Punks oder Schwarze ging. Zusam­men mit den “Glat­zen” gab es aber auch oft rund um Fußball­spiele der Ober­liga teils sehr harte Stra­ßen­schlach­ten, in die die Poli­zei in der Regel nicht eingriff. Auch die Staats­si­cher­heit hielt es offen­bar nicht für nötig, den anti­fa­schis­ti­schen Anspruch der SED durch­zu­set­zen und gegen die Neona­zis vorzu­ge­hen.
Im Gegen­teil: Als im Jahre 1987 rechts­ra­di­kale Skin­heads zusam­men mit Gesin­nungs­ge­nos­sen aus West-Berlin ein Punk-Konzert in der Zions­kir­che im Prenz­lauer Berg über­fie­len und es zu zahl­rei­chen Verletz­ten kam, stan­den die Herren mit den Leder­täsch­chen an den Zufahrts­stra­ßen und pass­ten auf, dass keines der Opfer entkam.Diese Erfah­rung brachte anti­fa­schis­ti­sche Jugend­li­che dazu, inner­halb der “Kirche von Unten” (KvU) eine Antifa-Gruppe zu grün­den. In ihrer Zeit­schrift “Antifa Info­blatt” berich­tet die Gruppe über ihre Erfah­run­gen. Die beiden folgen­den Berichte sind der Ausgabe vom Herbst 1989 entnom­men:Erleb­nis­be­richt 24.2.1989

Auf dem S‑Bahnsteig unge­fähr zwan­zig Glat­zen. Hier sind nur verein­zelt welche. Der Zug fährt ein, wir bestei­gen ihn mit einer bösen Ahnung. Dies bestä­tigt sich in Schö­ne­feld. Hoffent­lich stei­gen die Fußball­idio­ten nicht in unse­ren Wagen!
Gegröle, ich seh aus dem Fens­ter, nur rasierte Köpfe und HJ-Schei­tel. Das darf nicht wahr sein! Sofort die Jacke aus und drauf­ge­setzt. Auf der Jacke ist ein Aufnä­her, der in dieser Situa­tion bestimmt sehr unge­sund ist. Oh nein! Sie stei­gen in unse­ren Wagen! Scheiße! Grölen! “Die Repu­bli­ka­ner kommen!”, “Deutsch­land!” usw. Der ganze Wagen voller Skins. Mir rasen all meine ungu­ten und schmerz­li­chen Begeg­nun­gen mit diesen Faschos durchs Hirn.
Alle ande­ren Reisen­den sind total still, kein Mucks. Ich sehe ange­strengt aus dem Fens­ter. Hoffent­lich erkennt mich keiner! Ruhig blei­ben, entspan­nen, bis Halle sind es zwei Stun­den Bahn­fahrt.
Einige Glat­zen haben Karne­vals­müt­zen vorm Gesicht. — Im Novem­ber letz­ten Jahres, als ich mit sieben weite­ren Freun­den gejagt wurde, hatte auch einer so eine Maske auf. Damals waren’s drei­ßig Skins und wir hatten die schnel­le­ren Beine. — Die Glat­zen gehen nach vorn zur Mitropa.
Ab und zu kommt eine kleine Gruppe Kinder­skins (13 bis 15 Jahre) durch den Wagen, belegt die Leute, uns, mit “Müslis”, “Penner” usw. Mir soll’s recht sein, meine Hahnen­kamm­zeit ist zum Glück schon vorbei, und selbst mit diesen Kindern möchte ich mich an dieser Stelle nicht anle­gen.

Wie ich später erfahre, gibt’s vorn im Zug einige blutige Nasen, obwohl einige Bullen im Zug mitfah­ren. Aber was sollen die schon gegen diesen Mob machen. In Halle dann steigt selbi­ger Mob aus. Wir sehen aus dem Fens­ter, ein fins­te­res Schau­spiel. Nein, nicht ein Fußball­schall oder Vereins­fahne, nur Anoraks, Stie­fel, Glatze. Einige Bullen mit Hunden sind auf der Bahn.

Das darf doch nicht wahr sein! Die Skins formie­ren sich in Marsch­ord­nung (wir schät­zen unge­fähr 100 Stück). Und die braune Flut wälzt über den Bahn­steig. Den rech­ten Aren zum Hitler­gruß erho­ben, im Gleich­schritt, der den Rhyth­mus ihres Gegrö­les angibt, marschiert sie los. Viele Reisende flüch­ten vom Bahn­steig. Der Zug fährt an, leider hat keiner von uns einen Foto­ap­pa­rat dabei. Schade!
Aufat­men im Zug. Ein Reisen­der liest in einer Zeit­schrift einen Arti­kel über west­deut­sche Neona­zis. Auf den Bildern sind auch Skins bei Ausschrei­tun­gen abge­bil­det.
Ob die Reisen­den was kapiert haben?
M.P.

Bemü­hun­gen der Antifa-Gruppe Berlin um eine Teil­nahme am anti­fa­schis­ti­schen Jugend­marsch der FDJ

Durch eine Infor­ma­tion in der “Jungen Welt” wurden wir darauf aufmerk­sam, dass die FDJ im Herbst einen anti­fa­schis­ti­schen Jugend­marsch veran­stal­ten wollte. Darauf­hin schick­ten wir am 16. August 1989 folgen­den Brief an Eber­hard Aurich, den 1. Sekre­tär der FDJ:

“Wie wir mit Freude dem Zentral­or­gan der FDJ ‘Junge Welt’ entneh­men konn­ten, plant der Jugend­ver­band der DDR im Herbst dieses Jahres einen anti­fa­schis­ti­schen Jugend­marsch unter Teil­nahme aller demo­kra­ti­schen Kräfte, die gegen faschis­ti­sche Tenden­zen eintre­ten.
Wir sind eine breit gefä­cherte Antifa-Gruppe, in der Anti­fa­schis­tIn­nen verschie­dens­ter welt­an­schau­li­cher Ausrich­tung zusam­men­ar­bei­ten. Mit großer Besorg­nis beob­ach­ten wir seit länge­rem die wach­sen­den neofa­schis­ti­schen Akti­vi­tä­ten sowohl in der BRD als leider auch in unse­rer Repu­blik. Aus diesem Grund sind wir außer­or­dent­lich inter­es­siert, uns an der Vorbe­rei­tung und Durch­füh­rung des anti­fa­schis­ti­schen Jugend­mar­sches zu betei­li­gen.
Wir möch­ten Sie daher um genauere Infor­ma­tio­nen bitten, damit wir gemein­sam über­le­gen können, wie wir uns am wirkungs­volls­ten in diese Aktion inte­grie­ren können.

Da keiner­lei Reak­tion auf unse­ren Brief erfolgte, entschlos­sen wir uns, Nach­for­schun­gen über den Verbleib anzu­stel­len, um so even­tu­ell doch die erwünsch­ten Infor­ma­tio­nen zu bekom­men. Wir riefen im FDJ-Zentral­rat die ZAG (Zentrale Arbeits­gruppe) an, deren Tele­fon­num­mer wir von der “Jungen Welt” erhal­ten hatten, weil diese Abtei­lung verant­wort­lich für die Orga­ni­sa­tion des Marsches war. Wir beka­men aber von H. Krumm­bein ledig­lich die Antwort, dass wir uns an E. Aurich zu wenden hätten, da der Brief an ihn adres­siert sei. Ansons­ten hatten sie, auch auf Anfrage, keiner­lei Infor­ma­tio­nen für uns. In Aurichs Büro beka­men wir erst im drit­ten Versuch (nach 5 Stun­den) von einer seiner Mitar­bei­te­rin­nen über­haupt eine Antwort, die zusam­men­ge­fasst unge­fähr lautete: Der Brief ist ange­kom­men, wurde bera­ten, und man ist zu dem Entschluss gekom­men, dass wir an diesem Marsch nicht teil­neh­men können, Begrün­dung: Die FDJ ist die einzige Jugend­or­ga­ni­sa­tion der DDR, sie ist von Grund auf anti­fa­schis­tisch und damit sind bereits alle anti­fa­schis­ti­schen Jugend­li­chen der DDR vertre­ten. Somit geht es nicht, dass es noch weitere anti­fa­schis­ti­sche Grup­pen in der DDR gibt und diese sich viel­leicht auch noch laut­stark arti­ku­lie­ren. Soll­ten wir noch weitere Anfra­gen haben, dann sind diese bitte an das Staats­se­kre­ta­riat für Kirchen­fra­gen rich­ten, und die müss­ten das dann regeln. Damit sei unser Brief beant­wor­tet. Auf eine schrift­li­che Antwort brau­chen wir nicht zu warten.

Dies alles geschah am 7. Septem­ber ’89. Da uns diese Antwor­ten nicht zufrie­den stell­ten, bega­ben wir uns am 13. Septem­ber ’89 persön­lich in den FDJ-Zentral­rat. Als Privat­per­so­nen frag­ten wir beim Pfört­ner nach den Verant­wort­li­chen und wurden nach einer vier­tel Stunde in die Abtei­lung Agita­tion geschickt. (Die “Junge Welt” war da bedeu­tend schnel­ler und wusste wenigs­tens die rich­tige Abtei­lung!) Wir führ­ten ein länge­res Gespräch, erfuh­ren den Termin, alles andere stand nach den Anga­ben unse­res Gesprächs­part­ners noch nicht so rich­tig fest, weil es erst noch mit den Teil­neh­mern aus der Bundes­re­pu­blik abge­spro­chen werden musste. Als wir dann aber sagten, woher wir kamen und mit welchem wirk­li­chen Anlie­gen (Teil­nahme an der Vorbe­rei­tung und Orga­ni­sa­tion des Marsches), wandelte sich seine vorhe­rige Freund­lich­keit ein wenig, und uns wurde sofort klar gemacht, dass eine Diskus­sion über das Konzept des Marsches zum dama­li­gen und auch zu einem späte­ren Zeit­punkt ausge­schlos­sen wäre. Es bestand aber ausdrück­lich der Wunsch nach weite­ren Gesprä­chen seitens unse­res Gesprächs­part­ners im Namen der FDJ. Wir verblie­ben dabei, dass wir uns Anfang der folgen­den Woche noch mal melden, um dann einen konkre­ten Gesprächs­ter­min auszu­ma­chen.

Am 18. Septem­ber ’89 riefen wir, wie verein­bart an und erfuh­ren, dass nach Abspra­che mit weite­ren Zentral­rats­mit­glie­dern weitere Gesprä­che nicht mehr für notwen­dig erach­tet würden. Weitere Infor­ma­tio­nen bekä­men wir in Zukunft nur noch über die Tages­presse oder über die ZAG. Das erste Tele­fon­ge­spräch mit Frau Hahn von den ZAG ergab, dass wir einen Brief mit der Bitte um ein Gespräch an die ZAG hätten schi­cken sollen. Ein zwei­ter Anruf bei H. Krumm­bein (ZAG) ergab, dass wir uns nächste Woche noch mal tele­fo­nisch melden soll­ten. Weil uns das Verhal­ten des FDJ-Zentral­rats sehr entsetzte und enttäuschte, schick­ten wir einen Tag später folgen­den Brief an das ZK der FDJ:

“Wie Sie aus der beigefüg­ten Kopie eines Schrei­bens an den 1. Sekre­tär des Zentral­rats der FDJ erken­nen können, fühlen wir uns, entspre­chend der Aufga­ben­stel­lung die wir uns als Mitar­bei­te­rIn­nen einer Arbeits­gruppe der kirch­li­chen Gemeinde “Kirche von Unten” gege­ben haben, dem Anlie­gen des anti­fa­schis­ti­schen Jugend­mar­sches verbun­den. Von dieser Unter­neh­mung erfuh­ren wir aus Beiträ­gen in der “Jungen Welt”.
[…]
Wir wenden uns an Sie im Hinblick darauf, dass die SED stets betont hat, die Lehren aus dem Kampfe gegen den Faschis­mus vor 1933 und während der Herr­schaft des Faschis­mus’ gezo­gen zu haben. Und wir sind sicher mit Ihnen einer Meinung, dass im Kampf gegen den Faschis­mus keiner­lei sektie­re­ri­sche Tenden­zen zuläs­sig sind.
[…]
Unser Brief an Sie (wie auch der Brief an Eber­hard Aurich) ist von dem aufrich­ti­gen Bestre­ben diktiert, über alle Partei- und Orga­ni­sa­ti­ons­gren­zen hinweg dem Wieder­auf­le­ben des Faschis­mus keine Chance zu geben.
Wir rech­nen mit Ihrer Einfluss­nahme auf Ihre Genos­sen in der FDJ, damit uns die Möglich­keit gege­ben wird, auf diesem Marsch dem Anti­fa­schis­mus einer kirch­li­chen Basis­ge­meinde deut­li­chen Ausdruck zu verlei­hen.”

Am 23. Septem­ber erfuh­ren wir über Tele­fon von der ZAG, dass wir am 27. Septem­ber zu einem Gespräch in den Zentral­rat kommen können, wie üblich aber keine weite­ren Infor­ma­tio­nen. Für das Gespräch berei­te­ten wir uns auf alle mögli­chen Ausre­den der FDJ vor, erfuh­ren aber zu unse­rem Erstau­nen, dass der gesamte Marsch wegen Nicht­be­tei­li­gung der west­deut­schen und teil­weise auch der polni­schen Jugend­ver­bände abge­setzt worden war und die FDJ nun ihre gesamte Kraft in den Fackel­zug am 6. Okto­ber als großes, auch anti­fa­schis­ti­sches Bekennt­nis der Jugend inves­tiert. Von E. Aurich persön­lich wurde uns aber ausge­rich­tet, dass grund­sätz­li­che Gesprächs­be­reit­schaft von seiner Seite aus besteht.

Dieses Gespräch fand am 10. Okto­ber statt. Die erste Vier­tel­stunde verging damit, dass uns erklärt wurde, dass wir nur als Privat­per­so­nen im Zentral­rat sein dürf­ten, weil die FDJ die einzige Jugend­or­ga­ni­sa­tion in der DDR sei und deshalb keinen offi­zi­el­len Kontakt zu ande­ren Grup­pen, die es ja eigent­lich gar nicht geben darf, haben kann und darf. Weiter­hin ergab sich aus dem Gespräch, dass die FDJ an keiner­lei Verbin­dun­gen, egal welcher Art, inter­es­siert ist, dass sie keiner­lei Infor­ma­tio­nen von uns braucht bzw. haben will und den Hinweis, dass wir uns, wenn wir uns anti­fa­schis­tisch betä­ti­gen wollen, dies inner­halb der Struk­tu­ren der FDJ können. Denn dort dort gibt es sooo viele Möglich­kei­ten, wo wir unsere Gedan­ken einbrin­gen können, da brau­chen wir doch wahr­lich keine extra anti­fa­schis­ti­sche Grup­pen. Das meiste von dem, das wir ihm sagten, inter­es­sierte ihn gar nicht, aber er schrieb es sich alles ganz genau auf! In Zukunft brau­chen wir uns gar nicht um einen weite­ren Kontakt zu bemü­hen, das wäre sowieso zweck­los, weil die FDJ diesen eben nicht wünscht.

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3 Kommentare

  1. Antifaschismus…Faschischmus…

    Hat sich mal jemand über­legt, wo hier der Unter­schied ist?

    Spanien wäre unter­ge­gan­gen, hätte nicht Franco diesem Spuk ein Ende gesetzt…wir Bürger wollen einfach Ruhe und Sicherheit…wir wollen weder Faschis­ten, noch wenn diese fehlen, ihre Brüder, die Anti-Faschisten…lasst uns doch einfach in Ruhe!…bitte…

  2. Fran­cisco Franco war ein Faschist, der mit Hitlers Hilfe an die Macht gekom­men ist und Spanien jahr­zehn­te­lang unter eine Dikta­tur gezwängt hat. Er hat die Repu­blik zerstört. Diese von Ihnen ange­führte “Ruhe und Sicher­heit” bedeu­tete Faschis­mus und ist durch nichts zu recht­fer­ti­gen!

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