Mikwe Badehaus

In der jüdi­schen Gemeinde in Char­lot­ten­burg spielte das Bade­haus in der Bleib­treu­straße 2 eine wich­tige Rolle. Das tradi­tio­nelle jüdi­sche Quell­bad, genannt Mikwe, diente der Reini­gung von ritu­el­ler Unrein­heit. Dabei ging es nicht vorder­grün­dig um Hygiene, sondern mit dem Unter­tau­chen im Tauch­bad sollte die ritu­elle, eigent­lich kulti­sche Rein­heit herge­stellt werden. Früher gehör­ten die Mikwes zu vielen Jüdi­schen Gemein­den, mitt­ler­weile jedoch werden sie fast nur noch von Ortho­do­xen genutzt.

Das Haus in der Bleib­treu­straße war seit seiner Errich­tung um 1896 ein ganz norma­les Wohn­haus mit typi­scher Berli­ner Mischung: Arbei­ter neben Akade­mi­kern, Ange­stellte und selbst­stän­dige Hand­wer­ker neben Kauf­leu­ten und Solda­ten. Es gab mehrere Gewer­be­be­triebe, eine Gast­wirt­schaft, eine Bäcke­rei, Werk­stät­ten.
1926 kaufte die Jüdi­sche Gemeinde das Gebäude und eröff­nete dort im Jahr darauf das Tauch­bad. Es wurde im Erdge­schoss sowie dem Keller des Hauses einge­baut, mit je einem Regen­was­ser- und einem Tief­was­ser­bas­sin sowie drei Tief­bä­dern. Diese wurden durch einen großen Boiler erwärmt. In den Räumen im Erdge­schoss wurden sechs Bade­wan­nen aufge­stellt, außer­dem die Warte- und Umklei­de­räume einge­rich­tet.

Viele Vorschrif­ten bestimm­ten den Ablauf der ritu­el­len Waschun­gen. Die Bäder muss­ten in flie­ßen­dem Wasser oder in Regen­was­ser erfol­gen. Ein Mindest­in­halt des Tauch­be­ckens von 800 Litern und eine Tiefe von sieben Stufen waren Vorschrift. Unter dem Beten von Segens­sprü­chen muss­ten sich die Bade­gäste drei­mal unter­tau­chen. Die Mikwe in der Bleib­treu­straße hatte zwei Klas­sen, mit Eintritts­prei­sen von 2,00 bzw. 3,50 Mark im Jahr 1931.
Die Öffnungs­zei­ten des Bads rich­te­ten sich montags bis donners­tags nach dem Einbruch der Dunkel­heit. Frei­tags öffnete das Bad zwei­ein­halb Stun­den vor Beginn der Sabat­feier, die sich abhän­gig vom Erschei­nen des Abend­sterns von Woche zu Woche um eine Vier­tel­stunde verschob.

Im Hof hinter dem Haus stand ein Regen­was­ser­be­cken zur ritu­el­len Reini­gung des Geschirrs und der Haus­halts­ge­räte. Diese Hand­lun­gen werden Tauweln oder Kaschern genannt, nach altem jüdi­schen Brauch werden die Gegen­stände vor der erst­ma­li­gen Benut­zung oder nach der Berüh­rung mit reli­gi­ons­ge­setz­lich verbo­te­nen Spei­sen rein­ge­wa­schen. Dies geschieht eine Stunde vor Bade­be­ginn.

1935 zog auch das Jüdi­sche Wohl­fahrts- und Jugend­amt in das Haus, 1936 folgte die Jüdi­sche Allge­meine Zeitung. Jedoch musste die Gemeinde das Haus 1942 zwangs­weise an Erika Brüm­mel verkau­fen, der Witwe des Bürger­meis­ters von Mitte, Walter Brüm­mel. Die Gestapo beschlag­nahmte den Verkaufs­er­lös.
Die Nazis dekla­rier­ten das Gebäude zum “Juden­haus”, in das woan­ders entmie­tete Juden zwangs­ein­quar­tiert wurden. 20 Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner sind nament­lich bekannt, die von dort depor­tiert und fast alle in Konzen­tra­ti­ons­la­gern ermor­det wurden. Ihre Namen und Daten sind heute vor Ort doku­men­tiert.

1943 wurde die Bleib­treu­straße 2 durch alli­ierte Bomben größ­ten­teils zerstört. Nach dem Krieg, ab dem Jahr 1951 versuchte die neu gegrün­dete Jüdi­sche Gemeinde wenigs­tens das “arisierte” Grund­stück zurück­zu­be­kom­men. Sie (bzw. die Jewish Resti­tu­tion Succes­sor Orga­niza­tion, an die die Ansprü­che abge­ge­ben wurden) klagte gegen Frau Brüm­mel auf eine Entschä­di­gung. Mehr als zwan­zig Jahre zogen sich diese Ausein­an­der­set­zun­gen hin, die ein trau­ri­ges Bild werfen auf das Unrechts­be­wusst­sein mancher Profi­teure der “Arisie­run­gen”.

Das Areal wurde danach nie wieder bebaut. 1956 rich­tete der Bezirk Char­lot­ten­burg auf dem mitt­ler­weile von Trüm­mern befrei­ten Grund­stück einen Kinder­spiel­platz ein. Zum Gehweg hin entstand eine Pergola.
Im Jahr 2013 grün­de­ten mehrere Nach­barn die Bürger­initia­tive “mikwe – kultur begeg­nun­gen”. Sie haben auf dem Spiel­platz eine Dauer­aus­stel­lung zur Geschichte des Ortes instal­liert. Gleich­zei­tig möch­ten sie den Platz zum Nach­bar­schafts­treff­punkt für Lesun­gen, Konzerte und Kunst­ak­tio­nen verwan­deln.

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Es war die Reak­tion des Senats auf die Entfüh­rung des dama­li­gen Berli­ner CDU-Vorsi­t­­zen­­den Peter Lorenz. Am 27. Februar 1975, drei Tage vor der Abge­ord­ne­ten­haus­wahl, war er im Zehlen­dor­fer Quer­ma­ten­weg von Mitglie­dern der “Bewe­gung 2. Juni” […]

3 Kommentare

  1. Hmm, nun muss ich der Voll­stän­dig­keit halber doch noch­mal genaz naiv nach­fra­gen: Wer war nach dem Prozess Jewish Resti­tu­tion Succes­sor Orga­niza­tion gegen Frau Brüm­mel Eigen­tü­me­rin des Grund­stücks Bleib­treu­straße 2. Das wird hier nicht deut­lich. Wie gelangte das Grund­stück dann offen­bar in den Besitz des Bezirks­amts, das dann den Spiel­platz dort erbaute?

    • Hallo Frau Brühl,
      Sie haben recht, das wird nicht rich­tig deut­lich. Leider kann ich Ihnen das nach so langer Zeit auch nicht mehr genau sagen. Soweit ich mich erin­nere, wurde der Spiel­platz noch einge­rich­tet, als die Eigen­tums­ver­hält­nisse nicht abschlie­ßend geklärt waren. Viele Grund­stü­cke, die von jüdi­schen Orga­ni­sa­tio­nen wie die JRSO verwal­tet wurden, sind in den 1950er bis 1970er Jahren an die Bezirke oder den Senat verkauft worden, weil es damals nicht mehr vorstell­bar war, dass es noch­mal eine größere jüdi­sche Commu­nity in Berlin geben würde.

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