Ich hasse die Berliner

Auch wenn ich meine Stadt durch­aus zu schät­zen weiß, ich eine lange Geschichte hier habe, mir viele Entwick­lun­gen nicht gefal­len und ich Berlin schon drei­mal für immer verlas­sen habe — ich bin immer noch und immer wieder hier und habe so lang­sam meinen Frie­den mit der Stadt gemacht.

Soweit war mein Fahr­gast noch lange nicht. Noch bevor er mir sein Ziel nannte, klagte er: “Ich hasse die Berli­ner!”. Ich antwor­tete gespielt schuld­be­wusst: “Wieso, was habe ich denn getan?”. Ihm war jedoch nicht nach Lachen zumute, aber wenigs­tens sagte er mir jetzt, wohin er eigent­lich wollte.

Auf dem Weg erklärte er mir, dass er eigent­lich aus München stammt, in den Anfang der 1990er aber nach Bonn ging und dort für ein Minis­te­rium arbei­tete. Bzw. noch arbei­tet und deshalb jede Woche zwischen Berlin und dem Rhein­land pendelt. “Pendeln muss”, sagte er, obwohl der Regie­rungs­um­zug ja nun schon 16 Jahre her ist und er sich durch­aus eine Wohnung in Berlin suchen könnte. “Nein, ich möchte ja hier nicht leben. Hier kann man nicht leben. Es ist laut hier, dreckig, chao­tisch, jeder macht was er will, nichts funk­tio­niert. Und alle sind total unfreund­lich.”
“Das mit der Freund­lich­keit hat aber auch was mit dem eige­nen Verhal­ten zu tun, denke ich. Wenn man jeman­dem schon ableh­nend gegen­über tritt ist doch klar, dass er nicht begeis­tert reagiert.”

Ich dachte ja, er würde sich jetzt zu sehr kriti­siert fühlen, statt­des­sen meinte er nur klein­laut: “Ja, vermut­lich haben Sie sogar recht. Aber ich zahle noch ewig für mein Haus in der Eifel und meine Fami­lie lebt dort.” “Das ist natür­lich eine unbe­frie­di­gende Situa­tion. Jede Woche hin und her, die Frau und die Kinder kaum zu sehen. Aber ist es dann nicht erst recht wich­tig, sich hier auf die Stadt einzu­las­sen, um nicht stän­dig depri­miert zu sein?”
“Das sagen Sie so einfach. Und dann komme ich morgens zum Bäcker und kriege dort nur einen wässe­ri­gen Kaffee und trockene Bröt­chen. Und wenn ich mich beschwere heißt es, ich könnte ja woan­ders einkau­fen.”
“Ja, das würde ich an Ihrer Stelle auch machen. Außer­dem habe ich selbst schon einige Monate im Rhein­land gelebt, da gibt es auch eine Menge Mies­mu­scheln. Lassen Sie sich doch auf Berlin ein. Wenn Sie jetzt schon so lange hier arbei­ten, kennen Sie sich doch schon aus. Ausstel­lun­gen, Musik, Thea­ter, Seen und so. Einfach mal nach der Arbeit mit der S‑Bahn ein biss­chen raus fahren, Berlin hat viele schöne Gegen­den. Nicht nur die Minis­te­rien. Und es finden sich auch über­all Menschen, die man nicht hassen muss.”

“Die Bahnen sind für mich der Horror. Total voll und laut, niemand nimmt Rück­sicht. Die Stadt ist voller Touris­ten, egal wohin man kommt. Ich fahre extra Taxi, um nicht in die Bahn zu müssen.”
“Dafür können aber die Berli­ner nichts, über die Sie eben geschimpft haben. Übri­gens kommen viele von den Touris­ten aus dem Rhein­land, wo Sie es so schön finden.”
“Und weil die alle herkom­men, ist es bei uns schön leer.” Jetzt musste er selber über seine Argu­men­ta­tion lachen. “Viel­leicht haben Sie ja recht, es ist ja nicht alles schlecht hier im Osten.”
Dies­mal musste aber ich lachen.

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1 Kommentar

  1. Jetzt ist es klar: die mißge­laun­ten Mitmen­schen in Berlin auf der Strasse und in der Bahn sind gefrus­tete Zwangs­pend­ler wie der geschil­derte Fahr­gast. Die gehen sich gegen­sei­tig auf den Geist und die rich­ti­gen Berli­ner sind die paar Netten. ;-)

    Im Ernst: ein bedau­erns­wer­ter Fall wie es sicher viele gibt und deine Antwort mit dem “einlas­sen auf die Stadt” die (kurz­fris­tig) einzig sinn­volle Lösung. (Bin auch mal wochen­end­ge­pen­delt und kann es nach­voll­zie­hen).

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