Notaufnahmelager

Wenn sie heute die Schlan­gen von Flücht­lin­gen aus Syrien oder Afgha­ni­stan sehen, erin­nern sich alte Leute viel­leicht an ein Bild, das sie noch aus den 1950er Jahren kennen. Hinten an der Neuen Kant­straße, zwischen der West-Berli­ner City und dem Liet­zen­see, befand sich damals in der Kuno-Fischer-Straße 8 die “Zentrale für poli­ti­sche Ostzo­nen­flücht­linge”. Auch hier stan­den die Menschen zu Hunder­ten an. Sie kamen aus der DDR, die damals noch SBZ (Sowje­tisch besetzte Zone) hieß. Im 1930 erbau­ten Gebäude der Knapp­schafts-Berufs­ge­nos­sen­schaft öffnete am 3. Januar 1949 die Flücht­lings­für­sor­ge­stelle. Sie war erster Anlauf­punkt für Menschen, die künf­tig in den West­sek­to­ren oder auch in West­deutsch­land leben woll­ten. Bereits am ersten Tag melden sich über 150 Perso­nen, die Zahl stieg von Tag zu Tag. Paral­lel öffnete das erste West-Berli­ner Flücht­lings­la­ger in Düppel. Vor allem nach der Erfah­rung mit der Berlin-Blockade woll­ten viele Bürger der DDR nicht mehr unter kommu­nis­ti­scher Herr­schaft leben. Deshalb stieg der Zustrom nach Westen ab 1948 massiv an und traf auf eine Stadt, in der es kaum Wohn­raum gab, schließ­lich war der Welt­krieg mit seinen vielen Zerstö­run­gen erst wenige Jahre her.

Wer nach West-Berlin kam, wurde hier zuerst von briti­schen und US-ameri­ka­ni­schen Geheim­dienst­ler befragt. Sie woll­ten ostdeut­sche Spione raus­fil­tern, aber auch Infor­ma­tio­nen über die Verhält­nisse in der DDR sammeln. Zugleich inter­es­sier­ten sie sich für Perso­nen, die ihnen selber nütz­lich sein könn­ten. Das waren vor allem Wissen­schaft­ler und Tech­ni­ker, denen dann eine Anstel­lung in Groß­bri­tan­nien oder den USA ange­bo­ten wurden. Dies alles fand in der Kuno-Fischer-Straße 8 statt. Danach wurden den Flücht­lin­gen Plätze in halb­ver­fal­le­nen Häusern zuge­wie­sen, wenn man über­haupt eine Hilfs­un­ter­kunft für sie fand.

Nach der Schlie­ßung der “Spezi­al­la­ger” Sach­sen­hau­sen und Buchen­wald stie­gen die Flücht­lings­zah­len erneut massiv an, es wurde mehr Platz zu ihrer Unter­brin­gung gebraucht. Die Verhöre der Geflüch­te­ten wurde deshalb im Septem­ber 1949 nach West­end verlegt und das Gebäude in der Kuno-Fischer-Straße zu einem Notauf­nah­me­la­ger umge­baut. Gleich­zei­tig entstan­den im Garten Wohn­ba­ra­cken, die von der Straße bis unten an den Liet­zen­see reich­ten. Am 18. Januar 1950 ging dieses Aufnah­me­la­ger in Betrieb.

Doch im Jahr 1952 stieg die Zahl der Flücht­linge erneut massiv an, weil die DDR damit begon­nen hatte, die Grenze zwischen Ost- und West-Deutsch­land abzu­rie­geln. Das Notauf­nah­me­la­ger in der Kuno-Fischer-Straße war stän­dig über­füllt, obwohl es nur als Durch­gangs­sta­tion gedacht war. Von 1950 bis zur Schlie­ßung im August 1953 durch­lie­fen unge­fähr 300.000 Menschen dieses Lager. Danach wurde das Notauf­nah­me­la­ger Mari­en­felde eröff­net, das mit 2.000 Plät­zen eine höhere Kapa­zi­tät hatte.

Heute erin­nert an dem Gebäude in der Kuno-Fischer-Straße noch eine Gedenk­ta­fel daran, dass hier für viele Menschen der erste Ort war, an dem ihr neues Leben begann.

print

Zufallstreffer

Geschichte

Der erste 1. Mai in Kreuzberg

1987 gab es in Kreuz­berg die bis dahin stärks­ten Stra­ßen­kra­walle zum 1. Mai. Damals wurde die “Tradi­tion” der Maikra­walle begrün­det. In einem Roman­ent­wurf habe ich meine Erleb­nisse von damals fest­ge­hal­ten, die Namen wurden jedoch geän­dert. […]

Geschichte

Land unter

Am 18. März 1990 gab es zum ersten und letz­ten Mal in der DDR freie Wahlen. Im Westen war sowas ja nichts Unge­wöhn­li­ches, hier aber stan­den die Menschen vor den Wahl­lo­ka­len Schlange und disku­tier­ten mitein­an­der. […]

1 Kommentar

  1. Guten Tag,
    Ich war mit fast 22 Jahren auch eine dieser Flücht­linge in der Kuno-Fischer-Str. — Im Juli 1952 begann ich mit dem Anste­hen vor dem Gebäude. Der Menschen­block war war massiv und lang. (Aber nicht um die Ecke herum).
    Unter der heis­sen Juli­sonne kipp­ten 2 oder 3 Menschen um.
    Als ich endlich vor der Haus­tür anlangte, war es 12 Uhr: Mittags­pause!
    Um 14 Uhr wieder kommen. Wie es an dem Tag weiter­ging, weiss ich nicht mehr.
    Ausser zur Sani­täts­kon­trolle (nackt auszie­hen) wurden wir auch zur ameri­ka­ni­schen Komman­dan­tur zum Verhör gefah­ren.
    Meine Notun­ter­kunft befand sich in Mari­en­dorf (Ringstr/…str.)
    Es würde mich sehr inter­es­sie­ren, ob Fotos aus dieser Zeit bestehen und wie dazu gelan­gen.
    Jedes Jahr komme ich aus der Schweiz wieder nach Berlin. In Cott­bus bin ich gebo­ren, aber Berlin ist Heimat für mich. Die Spra­che, die Kiefern­wäl­der, der märki­sche Sand!

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*