Kaiser Wilhelm der Letzte

Es gibt Bücher, die sind nicht einfach zu beschrei­ben. Zum einen, weil sie weder Sach­buch noch Belle­tris­tik sind, aber auch, weil sie keiner gera­den Linie folgen. Was Lekto­ren und Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler vermut­lich in den Wahn­sinn treibt, kann für die Leser/innen jedoch sehr span­nend sein.

So ist es auch mit Hanno Wuppers Buch „Suche nach der Mitte von Berlin – Eine Annä­he­rung von j.w.d.“ Dieses Werk ist nicht nur voll von Wissen über die Stadt, ihre Umge­bung und ihre Vergan­gen­heit, sondern bringt all dies auch sehr unter­halt­sam rüber. Der lässige Schreib­stil tut der Serio­si­tät keinen Abbruch, sondern zieht einen regel­recht in den Text hinein. Der Autor beginnt diese Suche nach der Mitte viele tausend Kilo­me­ter entfernt und zeigt im Laufe der Annä­he­rung zahl­rei­che Verbin­dun­gen auf, die mit Berlin und Bran­den­burg zu tun haben.

Dane­ben gibt es einen zwei­ten Strang von Verbin­dun­gen, nämlich von der Vergan­gen­heit ins heutige Berlin. Ich hätte vorher nie gedacht, dass mir jemand die Preu­ßen, ihre Könige und all deren Fami­lien- und andere Geschich­ten so inter­es­sant und verständ­lich nahe­brin­gen könnte, wie es dieses Buch schafft. Der preu­ßi­sche Adel vom 16. Jahr­hun­dert bis zu Kaiser Wilhelm dem Letz­ten werden wunder­bar in Bezie­hung zuein­an­der, zur gesell­schaft­li­chen Situa­tion damals und zu heute gesetzt.

Hanno Wupper gelingt mit dem Schritt zu heute ein Geschichts­bild zu erzeu­gen, das nicht wie üblich nur einen kurzen Zeit­ab­schnitt abbil­det, sondern ein Gesamt­bild über die Epochen hinweg. Zum Beispiel posi­tive Errun­gen­schaf­ten aus dem 19. Jahr­hun­dert, die bis heute Gültig­keit haben.

Erfolg­reich ist auch sein Versuch, Preu­ßen zu erklä­ren, soweit das über­haupt nach­voll­zieh­bar möglich ist.

„Geogra­phisch ist das so: Berlin lag damals mitten in Preu­ßen. Im Westen erstreckte sich Preu­ßen bis ins Rhein­land. Östlich von Berlin begann irgend­wann nach vier­hun­dert Kilo­me­tern West­preu­ßen, nun polnisch, und dahin­ter Ostpreu­ßen, nun aufge­teilt zwischen Russ­land, Polen und Litauen. Dass der Westen im Osten liegt, kam im Klei­nen vorüber­ge­hend auch in Staa­ken vor. Wir werden darauf zurück­kom­men.“

Der Autor weist nicht nur darauf hin, dass er 1971, während seiner studen­ti­schen Zeit an der Uni Bochum, die E‑Mail erfun­den hat (eine Idee, die der dortige Rechen­zen­trums­di­rek­tor damals als Unsinn verwarf), sondern dass es das Prin­zip auch schon hundert Jahre zuvor gab: Erdacht von den Eltern des späte­ren Kaiser Wilhelms II.
Ob die Größe des Penis’ von Fried­rich I., Grund­le­gen­des zur Geschichte der Konsis­tenz von Brot oder die Einfüh­rung einer allge­mein gülti­gen Recht­schrei­bung, Wupper schafft es in zahl­rei­chen Beispie­len zu erklä­ren, was damals dazu führte, was heute ist.

Zu Fried­rich Wilhelm I.:

„Seine Hand­schrift, eine ausge­schrie­bene und charak­ter­volle Schrift, ist gut zu lesen. Seine Recht­schrei­bung dage­gen war eine Kata­stro­phe. Man sieht, dass aus jeman­dem, der auf der Schule nichts gelernt hat, doch noch was werden kann. Zu seiner Entschul­di­gung muss man sagen, dass er die Schul­pflicht über­haupt erst einge­führt hat, und da war es für ihn schon zu spät.”

Die Verglei­che zwischen den Zeiten treibt Hanno Wupper noch auf die Spitze, als er Jesus und seinen Vater Herr Gott mit Fried­rich II. und dessen Vater neben­ein­an­der stellt. Er zeigt dabei zahl­rei­che und erstaun­li­che Über­ein­stim­mun­gen auf.
Aber auch die heutige Zeit wird in dem Buch unter oft unge­wöhn­li­chen Gesichts­punk­ten behan­delt. So wird darin erklärt, wieso die Haus­ord­nung im Bran­den­bur­gi­schen Land­tag wich­ti­ger ist als der Kampf gegen Neona­zis, weshalb der Mittel­punkt Berlins in Köpe­nick liegen könnte, warum im Ort Gran­see seit 200 Jahren ein Sarg auf dem Markt­platz steht. Vermut­lich ist Wupper auch der Erste der erklä­ren kann, wie es kommt, dass eine komplette Fahrt über den Mauer­weg IM Uhrzei­ger­sinn vier Meter Höhen­un­ter­schied hat, ENTGE­GEN aber vier Meter weni­ger.

Im letz­ten Teil des Buchs widmet sich der Autor noch vielen aktu­el­len Orten und Themen, teils sarkas­tisch, auch resi­gnie­rend, aber immer mit einem durch­ste­chen­den Blick auf das, was die meis­ten nicht sehen, selbst wenn sie sich am glei­chen Ort befin­den.

Das ganze Buch können Sie hier lesen. Noch besser ist es aber, es zu bestel­len:

Suche nach der Mitte von Berlin – Eine Annä­he­rung von j.w.d.
Hanno Wupper
216 Seiten, 15,00 Euro
ISBN: 978–3‑7375–6119‑8
Mehr über Buch und Autor: selbstdenkbuch.eu
Direkt bestel­len beim Verlag: epubli.de

Im Juli 2017 ist Hanno Wupper im Beisein von guten Freun­den gestor­ben.

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