Möchtegern-Rocker

Bei großen Messen reisen oft Tausende von Geschäfts­leu­ten nach Berlin und einen Teil von ihnen hole ich am Abend mit dem Taxi ab. Auf dem Weg vom Messe­ge­lände ins Hotel oder in ein Restau­rant bekomme ich die Gesprä­che mit, die sie dann unter­ein­an­der führen, nach einem anstren­gen­den Arbeits­tag. Meis­tens unter­hal­ten sich die Leute über geschäft­li­che Dinge, manch­mal auch über Perso­na­lien. Na ja, Perso­na­lien ist viel­leicht das falsche Wort, es geht eher darum, über Kolle­gen, Geschäfts­part­ner oder Konkur­ren­ten herzu­zie­hen. Das Geschlecht ist dabei völlig uner­heb­lich, Männer und Frauen können genauso eklig sein.

Fast nur aus Männer besteht noch eine andere Gruppe. Diese wächst vor allem über sich hinaus, wenn Frauen dabei sind: Die Möch­te­gern-Rocker. Nicht, dass sie irgend­wie einem Bandido oder Hells Angel ähneln würden, sie finden es schon wild, die Krawatte abzu­le­gen.

Es sind vor allem die Geschich­ten, die sie erzäh­len, von verwe­ge­nen Taten, vom Rebel­len­tum unter der bürger­li­chen Fassade. Im letz­ten Jahr hatte ich mal einen Fahr­gast im Taxi, der damit rumge­prollt hat, wie er angeb­lich während der G20-Krawalle in Hamburg mit den Auto­no­men mitge­gan­gen ist und dort die Sau raus­ge­las­sen hat. Auf die Frage seiner Kolle­gin, ob er denn auch Steine geschmis­sen hätte, antwor­tete er, dass er sich daran nicht mehr erin­nern könne. Er wäre ja „so breit“ gewe­sen, dass ihm einige Stun­den im Gedächt­nis fehlen würden. Hach, was für ein India­ner der Groß­stadt…

Der gute Mann heute kam von der Inno­Trans, einer großen Eisen­bahn­messe. Ich hatte in dieser Schicht mehr­mals Geschäfts­leute von dort, aus Neusee­land, Südko­rea und der Schweiz. Er aber war aus Bayern, das war nicht zu über­hö­ren. Zusam­men mit seinen zwei männ­li­chen Kolle­gen gockelte er von der einzi­gen Frau, dass es nur noch pein­lich war.

Nicht nur, dass er mich unge­fragt duzte, worauf ich die ganze Zeit mit konse­quen­tem „Sie“ reagierte. Er erzählte ausgie­big, dass er ja schon seit zwei Tagen in Berlin war, die „Szene gecheckt“ hätte und einige alte Kumpels getrof­fen hat. Gemein­sam haben sie dann „die Gegend unsi­cher gemacht“. Solange, bis sie sich gestern mit dem Türste­her am Berg­hain ange­legt hätten. Aber den hätte er schon „klar­ge­macht, verstehste?“. Und dann wäre er dort ein paar Stun­den „gut abge­gan­gen“, bla bla. Dann machte mein Fahr­gast aber den Fehler, mich ins Gespräch mit einzu­be­zie­hen:
„Im Berg­hain kenne ich fast jeden, der da arbei­tet. Ist ja der ange­sag­teste Club Euro­pas, stimmts Herr Taxi­fah­rer? Bist Du auch manch­mal dort?“

Ich sagte, dass mich der Club nicht inter­es­siert. „Außer­dem dachte ich, das dort montags bis mitt­wochs nur die Kantine geöff­net hat.“
„Nein, es geht hier nicht ums Essen. Dann war es eben vorges­tern.“
Die Frau warf ein, dass vorges­tern aber Montag war, es also auch nicht geöff­net gewe­sen sei.
„Dann war es eben woan­ders, jeden­falls in Prenz­l­berg.“
„Im Prenz­lauer Berg gibt es keine Clubs mehr, die sind dort schon lange vertrie­ben. Und die Berg­hain-Kantine heißt nur so, es ist keine Gast­stätte.“

Es machte mir einen riesen Spaß, die Groß­mäu­lig­keit zu entlar­ven, obwohl er mir auch ein biss­chen Leid tat. Aber wirk­lich nur ein biss­chen. Auch das legte sich, weil er einfach nicht aufgab. Er erzählte nun, dass er öfters am Wochen­ende nach Berlin einfliege, um hier mit seinen Kumpels abzu­hän­gen. Das wären alles harte Typen, die schon manche Erfah­rung mit der Poli­zei gemacht hätten. Wenn sie zusam­men „durch den Kiez“ ziehen, dann würden die Leute aber auf die andere Stra­ßen­seite wech­seln.
Die Frau sagte dazu, dass sie sowas blöd fände, andere Menschen einzu­schüch­tern, was ihn sofort zum Zurück­ru­dern veran­lasste: „Nein, nein, ich bin ja dabei der Vernünf­tige und passe auf, dass nichts passiert. Die Jungs hören ja auf mich. Wir gehen dann meis­tens in irgend­wel­che Konzerte und tref­fen uns da mit unse­ren Leuten. Das geht dann ganz schön ab da. Da sind auch meis­tens die Auto­no­men mit dabei.“

Nicht nur ich war von diesem „harten Kerl“ begeis­tert, auch die ande­ren himmel­ten ihn spöt­tisch an: „Im Office bist Du doch immer der Brave, wusste gar nicht, dass Du so wild sein kannst.“
„Ihr wisst so eini­ges nicht von mir“, prollte er noch­mal rum, aber man merkte ihm an, dass er unsi­cher wurde. Dummer­weise fing er dann noch­mal an, vom SO36 zu spre­chen, das ja seine Lieb­lings­lo­ca­tion wäre. Aller­dings sprach er das „so 36“ aus, statt S.O.36. Niemand nennt es „so 36“. Ich musste noch­mal gemein sein und fragte: „Das in Char­lot­ten­burg?“
„Ja klar, man, Du weißt wenigs­tens Bescheid.“ (Für Auswär­tige: Das SO36 ist im Herzen Kreuz­bergs, etwa 8 Kilo­me­ter von Char­lot­ten­burg entfernt.)
Glück­li­cher­weise waren wir am Ziel ange­kom­men und nach­dem sie ausge­stie­gen waren, grinste ich noch eine ganze Weile in mich hinein.

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2 Kommentare

  1. Da dürfen die armen Würst­chen, das ganze Jahr vom Chef unter­drückt, mal nach Berlin und wollen zeigen was sie für tolle Typen sind — und dann kommt so ein böser Taxi­fah­rer und verarscht sie auch noch :)

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