Genosse, Freund

Das Schöne beim Taxi­fah­ren ist ja, dass man ab und zu inter­es­sante Menschen kennen­lernt. Mit denen hat man dann anre­gende Gesprä­che, auch wenn man viel­leicht nicht der glei­chen Meinung ist.
Die beiden Männer, die ich in Wilmers­dorf an einem Restau­rant abholte, waren bestimmt schon beide über 70 Jahre. Der eine Türke, der andere Kurde, wie ich später erfuhr, aber sie spra­chen deutsch mitein­an­der. Dann strit­ten sie plötz­lich auf türkisch. Am ersten Ziel im West­end ange­kom­men stie­gen sie aus und umarm­ten sich.

Den Mann neben mir brachte ich dann noch nach Reini­cken­dorf. Auf dem Weg schimpfte er über seinen “dummen Freund”. Der wäre kurdi­scher Natio­na­list und verstände nicht, dass Natio­na­lis­mus scheiße sei.
Ich lachte, weil ich das ja genauso sehe. “Natio­na­lis­mus kann einem unter­drück­ten Volk aber helfen, die eigene Iden­ti­tät zu erhal­ten.”
“Ach was”, konterte er, “wozu braucht man eine natio­nale Iden­ti­tät. Wir sind doch alles Menschen, reicht das nicht?”

Dann erzählt er, dass er schon immer ein Linker sei. Vor 45 Jahren kam er aus der Türkei nach Berlin. Zuerst wohnte er in Kreuz­berg, da orga­ni­sierte er sich poli­tisch. “Dev Sol?”, fragte ich. Er schaute erstaunt, dass ich die kenne. Dann schimpfte er über Erdo­gan, aber auch über die CHP, die Sozi­al­de­mo­kra­ten in der Türkei: “Alles Natio­na­lis­ten!”

Ich erzählte ihm von meinen Erfah­run­gen mit den “Grauen Wölfen”, den türki­schen Faschis­ten. Sie hatten ihre Zentrale früher am Gesund­brun­nen und einen großen Treff­punkt am Görlit­zer Bahn­hof. Als ich vom Mord an dem türki­schen Gewerk­schaf­ter am Kott­bus­ser Tor sprach, drückte er mir den Arm: “Genosse, Freund!” Er kannte Celalet­tin Kesim gut, sagte er trau­rig.
Dann erzählte er noch von seinen Enkeln, die so schreck­lich unpo­li­tisch seien und nicht verstän­den, dass man für eine gerech­tere Gesell­schaft kämp­fen müsste.

“Ja, ich weiß”, antwor­tete ich, ich weiß genau, was Du meinst.” Er strahlte mich aus seinem zerknit­ter­ten Gesicht an, drückte mir noch­mal den Arm.
Dann stieg er aus.

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