Mein Freund Floh

Da schaut er mich an, als wenn er denkt: Und Du, wo warst Du all die Jahre? Warum hast Du mir nicht gehol­fen? Ich kriege ein schlech­tes Gewis­sen, eigent­lich unbe­grün­det. Aber es ist da.

35 Jahre vorher: Zusam­men mit Schü­le­rIn­nen der Sophie-Scholl-Schule, mit einem späte­ren, heuti­gen Spie­gel-Redak­teur, grün­de­ten wir „Jakob“, die Jugend-Antifa-Koor­di­na­tion Berlin. Im Drugs­tore, der Potse, dem Pallas­la­den in Schö­ne­berg. Zu diesem Zeit­punkt war ich selber auch oft im Drugs­tore, ab und zu trom­melte ich noch, wenn auch nicht mehr in einer festen Band.

Irgend­wann fiel mir ein Junge auf, selbst­be­wusst, freund­lich, aber auch etwas arro­gant. Er nannte sich Floh, war hübsch, poli­tisch, musi­ka­lisch. Ab und zu tauchte er auf unse­ren Tref­fen auf, irgend­wann nicht mehr, was aber nicht so auffiel. Danach sahen wir uns immer wieder mal, bei Konzer­ten, Partys, Demos. So wie man viele traf, die einem damals irgend­wann mal über den Weg gelau­fen waren. Ich kannte zu dieser Zeit mindes­tens 100 Menschen, aus allen mögli­chen „Zusam­men­hän­gen“. Floh war einer von ihnen, inter­es­sant, aber für mich nicht so wich­tig. Aller­dings war er einer, der sich für die Antifa-Arbeit inter­es­sierte, wir hatten mehrere Diskus­sio­nen über Stra­te­gien, über ganz prak­ti­sche Dinge wie Druck und Vertei­lung von Flug­blät­tern und Aufkle­bern, Schutz von Veran­stal­tun­gen und so was. Ich habe in Erin­ne­rung, dass er da manches glaubte besser zu wissen, was aber nicht wirk­lich stimmte. Gleich­zei­tig war er auch neugie­rig und lernte. Irgend­wann habe ich ihn nicht mehr gese­hen. Es ist mir nicht aufge­fal­len.

Januar 2022: Der Sender Radio­eins veröf­fent­licht den vier­tei­li­gen Podcast „Mein Freund Floh“ über einen Jungen aus West-Berlin, 1980er Jahre. Vieles darin kannte ich, die Orte, die Bands, manche Perso­nen. Im Podcast wird seine Geschichte erzählt, wie er schon als 11-Jähri­ger mit seiner Band auf der Bühne stand, bis hin zu seinem Tod vor 15 Jahren. Es ist ein bewe­gen­der, auch sehr inter­es­san­ter Podcast, die über zwei Stun­den verge­hen schnell. Für Menschen, die die Jugend- und auch Beset­zer­be­we­gung um 1980 nicht mitge­kriegt haben, ist er sicher auch sehr lehr­reich.

Erst danach sah ich auf der Website des Senders ein Foto von Floh. Von diesem Floh. Plötz­lich war mir auch klar, wieso mir manches aus dem Podcast so bekannt vorkam. Ich hatte Flohs Namen gar nicht mehr in Erin­ne­rung, außer­dem gab es damals viele, die so hießen. Aber dieses Foto, dieser Blick, traf mich dann doch. Obwohl ich ihn nicht näher kannte, beschäf­tigt er mich plötz­lich doch. Und er gibt mir das Gefühl, viel­leicht hätte ich doch etwas tun können. Es ist Quatsch, damals war auch noch nicht abseh­bar, wie sich sein Leben danach verän­dern würde.

Auf jeden Fall ist „Mein Freund Floh“ ein wich­ti­ger und abso­lut hörens­wer­ter Podcast:
www.radioeins.de/archiv/podcast/mein_freund_floh.html

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https://www.youtube.com/watch?v=4fJG_s-Cb8k
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