Wo ist der Großvater geblieben?

Ab und zu hat man Fahr­gäste, für die man sich rich­tig Mühe gibt, manch­mal sogar über die eigent­li­che Fahrt hinaus. Solche hatte ich gestern Abend. Es war gegen 21 Uhr am Lust­gar­ten, als mir zwei Englisch spre­chende Damen ins Auto stie­gen. Die eine Dame war alt, die andere sehr alt. Sie zeig­ten mir einen Stadt­plan­aus­druck, auf dem eine Adresse  drauf­ge­schrie­ben war. Kein Problem: Schon nach ein paar Minu­ten waren wir in der gewünsch­ten Straße. Aber die Nummer gibt es nicht, heute ist dort ein klei­ner Park. Das Haus ist wahr­schein­lich im Krieg zerstört worden, so wie auch der Bahn­hof gegen­über.

Sie erzähl­ten mir, dass sie das erste Mal in Berlin sind, auf den Spuren ihres Groß­va­ters und Urgroß­va­ters, der zumin­dest 1939 noch unter der Adresse gewohnt hat und einen Laden betrieb. Die nicht-jüdi­sche Groß­mutter hatte in diesem Jahr Deutsch­land verlas­sen, ihr Mann kam jedoch niemals nach. Als er ausrei­sen wollte, durfte er nicht mehr, dann verlor sich seine Spur. Die Fami­lie vermu­tete, dass der Groß­va­ter von den Nazis depor­tiert und ermor­det worden war, aber sie wuss­ten es nicht genau. Bis heute haben sie keine Infor­ma­tio­nen über seinen Verbleib.

Also bot ich den beiden Damen an, weiter zu recher­chie­ren. Noch in der Nacht schaute ich im Gedenk­buch Berlin der jüdi­schen Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus nach, dort fand ich seinen Namen jedoch nicht. Aber in der Online-Daten­bank der Gedenk­stätte Yad Vashem, über die man die Opfer des Holo­causts recher­chie­ren kann, taucht des Groß­va­ters Name auf. Aller­dings steht auch dort nur, dass er vor dem Krieg in Berlin gelebt hat und in einem KZ ums Leben kam. Keine weite­ren Daten.
Als Nächs­tes werde ich im Landes­ar­chiv nach­fra­gen. Mit Hilfe der Adresse könn­ten sich neue Anhalts­punkte erge­ben, was mit ihm gesche­hen ist. Zwar werden die beiden dann schon wieder in England sein, aber wir blei­ben in Kontakt. Ich hoffe sehr, dass ich ihnen noch irgend­ein Ergeb­nis besor­gen kann. 72 Jahre nach dem Verschwin­den.

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Beten ist Audi­enz beim Höchs­ten. Mit diesem Satz fängt meine heutige Stadt­wan­de­rung an. Vor der Advents­kir­che. Die Kirche gehört zum Prenz­lauer Berg; aber gleich gegen­über fängt Fried­richs­hain an; gegen­über an der Ecke Marga­­rete-Sommer-/ Danzi­ger Straße, […]

4 Kommentare

  1. Leider bin ich nun an die Grenze gesto­ßen. In diver­sen Listen und Daten­ban­ken taucht der Name zwar auf, aber immer enden die Eintra­gun­gen 1939, also vor der Zeit des Holo­causts.
    Bleibt nur noch das Landes­ar­chiv, in dem alle Bewoh­ner Berlins regis­triert sind, inkl. der Anga­ben, wohin sie verschwun­den sind, soweit es bekannt wurde. Dort bekomme ich jedoch keine Auskunft, weil ich kein Verwand­ter bin. Aber die Enke­lin wendet sich nun dort hin.

  2. 1939 ist nicht lange her… aber ich sehe, dass es immer span­nende Geschich­ten gibt. Und viel­leicht kommt noch das Ergeb­nis.

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