Identitätsprobleme

Mein Fahr­auf­trag lautete: “Englisch­spre­chend, am Admi­rals­pa­last”. Schnell die 300 Meter vorge­fah­ren, ein Mann um die 30 wartete bereits. Er wollte in die Alte Schön­hau­ser Straße, keine Super­tour, aber bekannt­lich kommt es ja nicht auf die Länge an.
In der Orani­en­bur­ger meinte er, dass er dies für die schönste Straße der Welt hält. Anar­chis­ten und Künst­ler geben ihr ein Flair, das er sonst von nirgendwo her mehr kennt. Als Kind in den 80er Jahren war es bei ihm in New York in seinem Vier­tel auch so, die Häuser schmut­zig, die Stra­ßen kaputt, aber alles sehr leben­dig. Heute gibt es das nicht mehr.
In den letz­ten Jahren war er in vielen Städ­ten, über­all auf der Welt, vor Berlin noch in Barce­lona und Amster­dam. Aber nirgends ist es wie in der Orani­en­bur­ger. Was für ein Loblied.
Als ich ihm sagte, dass das Tache­les gekün­digt wurde und zum Jahres­ende wohl schlie­ßen wird, schrie er “No, no, no! Man darf doch nicht über­all alles dem Busi­ness über­las­sen und Büros oder Center bauen. Mitte hat sich schon so sehr verän­dert, wenn nun auch noch die Orani­en­bur­ger kommer­zia­li­siert wird, dann gibt es ja keinen Grund mehr, nach Berlin zu kommen.”
Er klang rich­tig verzwei­felt und schimpfte über das Geld, das die Künst­ler vertreibt, die die Atmo­sphäre der Gegend mal geschaf­fen hatten. Bald gibt es in der Innen­stadt für sie gar keinen Ort mehr und damit zerstört sich die Stadt ihre eigene Attrak­ti­vi­tät. Nur noch Shops und Lofts, das ist kein Leben, das ist nur sterile Stan­dard-City wie über­all auf der Welt. Es ist doch das Anar­chis­ti­sche, das Mitte so inter­es­sant macht, man darf doch nicht alles nur den Leuten über­las­sen, die viel Geld haben. Auf der kurzen Stre­cke hatte er sich total in Rage gere­det, umso erstaun­ter war ich, als wir vor seinem Haus anka­men: Schick, teuer, Yuppie­haus. Plötz­lich war er ganz leise und sagte, dass er ja selber auch so einer ist. Er hat sich hier ein Loft gekauft, um mitten in seinem Lieb­lings­vier­tel zu wohnen, im Unfer­ti­gen und Anar­chis­ti­schen. “Ich weiß, dass ich und jeder andere wie ich das Flair hier zerstö­ren, aber ich fühle mich hier doch so wohl”, entschul­digte er sich. Wenigs­tens sieht er den Wider­spruch. Ich habe geant­wor­tet, dass die Szene natür­lich aus Mitte vertrie­ben wird, und in 5 oder 10 Jahren kann er ja nach Pankow gehen, um sie im Exil zu besu­chen. Das hat ihm aber nicht gefal­len. Dann bleibt wohl nur noch die Sitzung beim Psycho­lo­gen.

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