Die hundert­jäh­rige Geschichte der “Allge­mei­nen Elec­tri­ci­täts-Gesell­schaft” (AEG) ist eng mit der Acker­straße verbun­den. Denn schon ein Jahr nach ihrer Grün­dung siedelte die AEG hier an. Sie kaufte die Werk­zeug­fa­brik von W. Wedding in der Acker­straße 71–76, die den gesam­ten Block zwischen der Acker­straße, Feld­straße, Hussi­ten­straße und Herms­dor­fer Straße (heute Max-Urich-Straße) umfasst und genau am Garten­platz gegen­über der Kirche liegt. 1888 begann die AEG mit der Neube­bau­ung des Blocks, um dort die Appa­ra­te­fa­brik (später Zähler­fa­brik) unter­zu­brin­gen. Der Archi­tekt Franz Schwech­ten entwarf den Komplex mit der damals übli­chen reich verzier­ten Fassade, wovon heute aber prak­tisch nichts mehr zu sehen ist.

Im selben Jahr wurde die Acker­straße verbrei­tert, neu gepflas­tert und direkt am AEG-Block entlang verlief nun auch die Pfer­de­bahn vom Alex­an­der­platz nach Reini­cken­dorf. Später ist sie noch elek­tri­fi­ziert worden. Diese Stra­ßen­bahn­li­nie war wich­tig, weil sie die Berli­ner Innen­stadt mit den Gegen­den verband, in der sich zuneh­mend die Indus­trie nieder­ließ. Mit der Neupflas­te­rung der Acker­straße verschwan­den nun auch die bisher offe­nen Rinn­steine, an ihre Stelle traten rechts und links der Straße unter­ir­di­sche Gullies.
In den 70er Jahren des 19. Jahr­hun­derts befand sich auf einem riesi­gen Gelände östlich der Hussi­ten­straße der größte Berli­ner Vieh­markt mit dem Zentra­len Schlacht­hof. Dieser war jedoch in priva­tem Besitz und um nicht von den Prei­sen dieses Mark­tes abhän­gig zu sein, entschied der Magis­trat die Anlage eines neuen Vieh- und Schlacht­ho­fes in Lich­ten­berg. Der Weddin­ger Markt wurde aufge­löst. Vorüber­ge­hend war das Areal in mehrere klei­nere Blöcke aufge­teilt und mit Wohn­häu­sern bebaut worden. Doch 1894 wurde das gesamte Gelände an der AEG aufge­kauft, die die erst wenige Jahre alten Wohn­ge­bäude abrei­ßen ließ, die Blöcke wieder zusam­men­legte und auf diesem riesi­gen Grund­stück neue Fabri­ka­ti­ons­an­la­gen baute. Den noch vorhan­de­nen Gleis­an­schluss des Vieh­mark­tes über­nahm die Firma natür­lich auch. Das Gelände ist heute noch zusam­men­hän­gend zwischen der Brun­nen­straße, Gustav-Meyer-Allee, Hussi­ten­straße und Volta­straße zu besich­ti­gen, wenn auch nicht mehr alle der alten Fabrik­ge­bäude stehen.
Auf der Welt­aus­stel­lung 1900 in Paris präsen­tierte die AEG ihre Fabrik­an­la­gen in zahl­rei­chen Foto­gra­fien und selbst die engli­sche Konkur­renz sprach bei den Fabri­ka­ti­ons­stät­ten der AEG von dem “größ­ten, best­ein­ge­rich­te­ten und wissen­schaft­lich am vorzüg­lichs­ten orga­ni­sier­ten Werke”. Dies lag auch mit daran, dass 1889 in der Appa­ra­te­fa­brik in der Acker­straße der erste Dreh­strom­mo­tor erfun­den wurde.
Um nun die beiden Indus­trie­kom­plexe mitein­an­der zu verbin­den, wurde 1895 die erste Unter­grund­bahn Euro­pas ange­legt. Eine AEG-Zeitung notierte über die elek­trisch betrie­bene Bahn:

“Diese Bahn hat sich in der Folge vorzüg­lich bewährt. Der Tunnel in einer Länge von 270 Metern hat einen ellip­ti­schen Quer­schnitt von 2,6 Metern Breite und 3,15 Metern Höhe. Die Tunnel­sohle liegt 6,5 Meter unter der Straße. Zur Beför­de­rung von Perso­nen und Lasten dient eine elek­tri­sche Loko­mo­tive.”
Mit ange­häng­ten Güter­lo­ren für den Mate­ri­al­trans­port erreichte die Bahn immer­hin eine Geschwin­dig­keit von 30 km/h. Später wurde der Verkehr einge­stellt und gegen Ende des Zwei­ten Welt­kriegs fungierte der Tunnel als Lager für Konstruk­ti­ons-Unter­la­gen. In den 50er und 60er Jahren wurde er dann noch­mal als Bahn­tun­nel von klei­nen Elek­tro­kar­ren auf Gummi­rei­fen genutzt.
Ab 1910 entstand an der Hussi­ten­straße der gigan­ti­sche Behrens-Bau, dama­lige Groß­ma­schi­nen­halle, die heute sowohl unter Denk­mal­schutz als auch leer steht. Die AEG wurde zum größ­ten Arbeit­ge­ber im Wedding. Tausende ström­ten täglich in die Maschi­nen­hal­len und Werk­stät­ten. 1916 streik­ten in diesen und eini­gen ande­ren Groß­be­trie­ben 55.000 Menschen gegen die Verhaf­tung des Sozia­lis­ten­füh­rers Karl Lieb­knecht. Im April 1917 stan­den 319 Betriebe still, 217.000 Arbei­ter gingen auf die Straße, um eine bessere Versor­gung der Bevöl­ke­rung zu erzwin­gen, aber auch für eine Erklä­rung der Regie­rung zur sofor­ti­gen Frie­dens­be­reit­schaft und Verzicht auf jede offene oder versteckte Anne­xion. Die AEG war mit der gesam­ten Beleg­schaft von 51.800 Menschen am Streik betei­ligt. Am 9. Januar 1919 trafen sich 40.000 Beschäf­tigte der AEG und Schwartz­kopff im Humboldt­hain und forder­ten die “Eini­gung zwischen Arbei­tern aller Rich­tun­gen, um dem Blut­ver­gie­ßen ein Ende zu bereit­ten.”
Und natür­lich haben sich bei der AEG auch einige der härtes­ten Arbeits­kämpfe und poli­ti­schen Ausein­an­der­set­zun­gen zwischen Nazis und Kommu­nis­ten abge­spielt.
Im Krieg wurde der Komplex der Appa­ra­te­fa­brik beschä­digt, vor allem das an der Hussi­ten­straße gele­gene Gebäude wurde zerstört und später abge­ris­sen. Der größere Komplex Rich­tung Brun­nen­straße kam verhalt­nis­mä­ßig gut davon, es gab nur wenige schwere Zerstö­run­gen. Wie viele andere Firmen hatte auch die AEG ihren Haupt­sitz nach 1945 aus Berlin ausge­la­gert, und die Produk­tion wurde wurde immer weiter zurück­ge­fah­ren. Zwischen 1945 und dem Ende der Appa­ra­te­fa­brik 1978 ist die Beleg­schaft an der Acker­straße von ehemals 4.000 Arbei­tern glatt halbiert worden. 1983 traf es dann auch den Rest der Beschäf­tig­ten zwischen der Brun­nen- und Hussi­ten­straße: 3.000 Menschen wurden entlas­sen, es begann der Abriss eines Groß­teils der Gebäude, das Gelände wurde teil­weise von Siemens-Nixdorf neu bebaut. Heute resi­diert die Bank­ge­sell­schaft Berlin in einem riesi­gen Neubau an der Brun­nen­straße.
In den verblie­be­nen alten Fabri­ka­ti­ons­an­la­gen haben sich Uni-Insti­tute nieder­ge­las­sen und viele High-Tech-Firmen sowie private Femseh- und Radio­sen­der. Die ehema­lige Appa­ra­te­fa­brik an der Acker­straße wird seit 1982 von der Tech­ni­schen Univer­si­tät genutzt. Beide Gelände sind tags­über offen zugäng­lich, und es lohnt sich auf jeden Fall, mal mit offe­nen Augen hindurch­zu­ge­hen.
Auch die ehema­lige Maschi­nen­fa­brik Schwartz­kopff an der Sche­ring­straße exis­tiert nicht mehr. 1889/90 ließ Louis Schwartz­kopff an der Ecke zur Hussi­ten­straße eine große Monta­ge­halle für die Produk­tion von Setz­ma­schi­nen errich­ten. An der Ecke Acker­straße stand die Eisen­gie­ße­rei und auf der ande­ren Seite des Stet­ti­ner Bahn­hofs, direkt an der Chaus­see­straße, die Loko­mo­ti­ven­fa­brik. Im Krieg wurden viele der Schwartzkopff’schen Produk­ti­ons­an­la­gen zerstört, aber an der Sche­ring­straße produ­zierte er noch weiter. Nach einer Finanz­krise in den 60ern wurde das Werk Hussi­ten-/ Sche­ring­straße 1978 an die Firma Solex verkauft, die den Komplex abrei­ßen ließ. Bis heute befin­det sich dort nur noch ein großes Loch, gebaut wurde seit­dem nichts mehr.

Die AEG

“Hans ist hier aufge­wach­sen, alles ist ihm vertraut; die vielen Menschen jedoch, die nun wie er den Werks­to­ren entge­gen trei­ben, beein­dru­cken ihn. Bald werden die Stra­ßen fast menschen­leer sein, werden nur noch ein paar Kinder herum­ste­hen, Frauen einkau­fen gehen und der eine oder andere Rent­ner oder Arbeits­lose vor seiner Haus­tür herum­ste­hen; jetzt sind die Stra­ßen so etwas wie stei­nerne Adern, in denen das Blut zum Herzen strömt, um es in Gang zu halten. Ja, diese riesige Fabrik­an­lage ist das Herz des Nordens. Tag und Nacht pulsiert es, immer bleibt es im Takt, und jeder kann es hören, dieses Hämmern, Klin­gen und Fauchen, das aus den Glas‑, Stahl- und Beton­ge­bäu­den bis in die angren­zen­den Wohnun­gen dringt. Oft klingt es rhyth­misch, manch­mal aber scheint es, als brülle das Herz unter seiner Last gequält auf.”

Die U‑Bahn der AEG

“Der Meis­ter will Hans noch den unter­ir­di­schen Tunnel zeigen, der die Maschi­nen­fa­brik in der Brun­nen­straße mit der Appa­ra­te­fa­brik in der Acker­straße verbin­det. Unter der Volta- und Hussi­ten­straße führt er hindurch. Stolz weist der Meis­ter auf die elek­tri­sche Werk­bahn, die gerade aus dem Tunnel gefah­ren kommt. “Die wurde schon im vori­gen Jahr­hun­dert gebaut, das musste dir mal vorstel­len. Da haben sie woan­ders noch mit Stein und Faust­keil gear­bei­tet.” Hans hat von dieser Tunnel­bahn bereits gehört. Sie wird die erste U‑Bahn Berlins genannt.” *

* Aus dem Buch von Klaus Kordon: “Mit dem Rücken zur Wand”. Kordon, gebo­ren 1943, hat eine “Trilo­gie der Wende­punkte” geschrie­ben: Drei Romane, die jeweils einige Wochen 1918/19, 1933 sowie 1945 mit den Augen eines Kindes sehen, das mit seiner Fami­lie in der Acker­straße wohnt. Die Bücher sind sehr lehr­reich und äußerst span­nend geschrie­ben: “Die roten Matro­sen”, “Mit dem Rücken zur Wand”, “Der erste Früh­ling”.

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