In seiner Regie­rungs­er­klä­rung vom 18. März 1963 setzte der dama­lige Regie­rende Bürger­meis­ter Willy Brandt dem West­teil der mitt­ler­weile geteil­ten Stadt die Ziele: “Aber geblie­ben sind Aufgabe und Anspruch Berlins. Die Aufgabe lautet, den freien Teil der Stadt zur geis­ti­gen Haupt­stadt des Volkes zu entwi­ckeln, zu einem der moderns­ten und vorbild­lichs­ten Indus­trie­zen­tren Euro­pas auszu­bauen, mehr als zwei Millio­nen Menschen Frei­heit und Raum zu sichern, in dem sie sich entfal­ten können, und mitzu­hel­fen an dem, was Berlin für unser Volk, für Europa und die Welt bedeu­tet.
Bauen ist eine kultu­relle Aufgabe. Der Raum, in dem sich Kultur entwi­ckeln soll ist die ganze Stadt. Die Stadt prägt das Lebens­ge­fühl ihrer Bürger. Wir wollen haupt­städ­tisch bauen, denn unser poli­ti­sches Ziel soll und muss auch in unse­ren Bauten erkenn­bar sein.”
Dieser Anspruch wurde dann im “Ersten Bericht zur Stadt­er­neue­rung an das Abge­ord­ne­ten­haus von Berlin” genauer ausge­legt. Eine im Jahr 1961 durch­ge­führte block­weise Unter­su­chung der Bausub­stanz in West­ber­lin hatte erge­ben, dass 430.000 Wohnun­gen entwe­der verbes­se­rungs­fä­hig oder abbruch­reif waren. Da am 6. Juni 1961 in West­ber­lin 837.670 Wohnun­gen gezählt worden waren, hieß das im Klar­text, dass die halbe Stadt erneu­ert werden sollte. Dafür sah man zwei Wege. Entwe­der den Total­ab­riss mit nach­fol­gen­der Neube­bau­ung oder einen Teil­ab­riss (die soge­nannte Entker­nung) und Moder­ni­sie­rung der verblei­ben­den Rest­sub­stanz.

Ein Total­ab­riss mit nach­fol­gen­der Neube­bau­ung, wie es ihn schon beim Bau der Ernst-Reuter-Sied­lung gege­ben hatte, bot die besten Möglich­kei­ten, einen höchst­mög­li­chen Effekt zu erzie­len und den vorlie­gen­den Miss­stand zu besei­ti­gen. Der Entker­nung stand man sehr skep­tisch gegen­über, aus Angst, sie könnte zu teuer werden und einer ratio­nel­len Nutzung des Baulands wider­spre­chen. Auch sollte “die Gefahr einer einsei­ti­gen nega­ti­ven sozia­len Bevöl­ke­riings-Auslese und damit verbun­den eine Slum­bil­dung” verhin­dert werden. Vom Früh­som­mer 1963 bis 1966 über­leg­ten, plan­ten und disku­tier­ten dann Wissen­schaft­ler von elf deut­schen Tech­ni­schen Hoch­schu­len und Univer­si­tä­ten, wie beson­ders der Wedding zu sanie­ren sei. Denn hier bot sich die Chance, durch einen Total­neu­bau zu verhin­dern, dass sich diese Gegend wieder zu einem sozial minder­wer­ti­gem Stadt­teil entwi­ckeln könnte.
Im “3. Bericht zur Stadt­er­neue­rung” wurde 1966 dann das heutige Erschei­nungs­bild nörd­lich der Bernauer Straße fest­ge­schrie­ben, im Wohn­be­reich nach den Prin­zi­pien Auflo­cke­rung, Entker­nung, Frei­flä­chen und Begrü­nung. Für den Gewer­be­be­reich (vor allem Einzel­han­del) wurden Entschei­dun­gen getrof­fen, die wahr­schein­lich — zusam­men mit den Folgen des Mauer­baus — das endgül­tige Schick­sal der Gegend um die Acker­straße als “ruhi­ges Wohn­ge­biet” besie­gel­ten: Die Läden wurden zum Groß­teil auf einen einzi­gen Platz (Acker­straße Ecke Feld­straße) konzen­triert, die Acker­straße an der Bernauer und der Ecke Sche­ring­straße gesperrt, die Feld­straße in der Mitte unter­bro­chen und über­baut.
Schon früh warnte der “Tele­graf”: “Man muss mit dem Wider­stand vieler Bürger rech­nen, die ihre Wohnung in dem abzu­rei­ßen­den Haus nicht aufge­ben wollen, weil die neue und schö­nere Wohnung im Neubau mehr Miete kostet. “Und so verlief die geplante Sanie­rung auch nicht unge­stört und zog sich bis etwa 1980 hin. Wie zu erwar­ten war, wehr­ten sich viele, ihre ange­stammte Gegend zu verlas­sen. Um diese Menschen zu beru­hi­gen, sprach Willy Brandt von der “behut­sa­men Stadt­er­neue­rung”, die mehr Rück­sicht auf die Wünsche der Mieter nehmen sollte. Mensch­li­che und räum­li­che Bindun­gen soll­ten nicht ange­tas­tet werden. Am 14. Dezem­ber 1964 zitierte die “BZ” den Regie­ren­den Bürgen­neis­ter mit dem Verspre­chen, dass in den betref­fen­den Gebie­ten keines­wegs ein KahIschlag erfol­gen sollte. Doch diese behut­same Stad­temeue­rung war eine Illu­sion, allein bis 1965 wurden über 8.000 Wohnun­gen abge­ris­sen. Fünf­zehn­Jahre später, am Ende des Sanie­rungs-Programms, stand kaum ein Stein länger als zwan­zig Jahre zuvor auf dem ande­ren.
Anfang der 70-er, als im Norden Reini­cken­dorfs das “Märki­sche Vier­tel” fertig wurde, gab es das Ange­bot an dle Mieter aus dem Kiez um die Acker­straße, sich das Neubau­ghetto anzu­se­hen. Mit Reise­bus­sen wurden die Menschen ins “MV” gefah­ren und ihnen die schöne, neue Wohn­welt vorge­führt. Da ja die Sanie­rung im Wedding auch den Wegfall von 50% der Wohnun­gen vorsah, muss­ten dle Menschen irgendwo anders ange­sie­delt werden — und dafür war das Märki­sche Vier­tel vorge­se­hen. Aufgrund des Drucks und den Verspre­chun­gen unter­schrie­ben dann auch Tausende die Erklä­rung, dass sie eine Wohnung im hohen Norden akzep­tie­ren. Trotz der wesent­lich höhe­ren Mieten und des in der Regel weite­ren Wegs zum ange­stamm­ten Arbeits­platz. Dass das MV für viele aber nicht das Para­dies wurde, ist daran zu sehen, dass es bald auch dort Mieter­pro­teste bis hin zu Miet­streiks gab.

Die Acker­straße im Wedding wurde fast voll­stän­dig planiert und neu bebaut. An der west­li­chen Seite blieb nur noch die Sebas­tian-Kirche stehen sowie das Pfarr­haus in der Feld­straße 4. Die Ostseite wurde zwischen Bernauer und Feld­straße komplett abge­ris­sen und erhielt eine Neube­bau­ung.
Es entwi­ckelte sich in der Acker­straße kein orga­ni­sier­ter Protest gegen die Kahl­schlag-Sanle­rung, sicher auch deshalb, weil die Menschen in dieser Frage gespal­ten waren. Dieje­ni­gen, die es sich leis­ten konn­ten, woll­ten mehr­heit­lich lieber in einem Neubau wohnen. Die ande­ren waren auch nicht auf einmal, sondern über viele Jahre verteilt betrof­fen, so dass sie sich nicht orga­ni­sier­ten. Erst über die Hinwen­dung der Studen­ten-Bewe­gung nach 1968 von allge­mein­po­li­ti­schen und inter­na­tio­na­lis­ti­schen Themen zu den realen Verhält­nis­sen in der Stadt, geriet auch die Situa­tion der Altbau-Mieter in das öffent­li­che Inter­esse. Unter ande­rem im Bünd­nis mit der Kirche, die in ihren Gemein­den Versamm­lungs-Möglich­kei­ten zur Verfü­gung stellte, formierte sich lang­sam ein von Studen­ten und sozial schwa­chen Rand­grup­pen getra­ge­ner Wider­stand gegen die Kahl­schlag-Sanie­rung. Zumal die Studen­ten selber auch auf billi­gen Wohn­raum ange­wie­sen waren und so zu Betrof­fe­nen wurden. Doch diese Bewe­gung, die Anfang der 70-er auch mit der Schü­ler- und Jung­ar­bei­ter-Bewe­gung zusam­men­traf, konzen­trierte sich mehr auf die Bezirke Char­lot­ten­burg (Studen­ten), Kreuz­berg (Schü­ler, junge Arbeits­lose) und Schö­ne­berg. Es gab dann auch erste Haus­be­set­zun­gen und öffent­li­che Ankla­gen gegen die unsen­si­ble Wohn­raum-Vernich­tung.
Die breite “Instandbesetzer”-Bewegung, die zwischen 1979 und 1981 entstand, kam jedoch für den Wedding zu spät. Ledig­lich die ehema­lige Schrip­pen­kir­che und ein Wohn­haus an der Hussi­ten- Ecke Max-Urich-Straße wurden besetzt. Die “Schrippe” ist jedoch am 7. März 1980 wieder geräumt und abge­ris­sen worden; das andere Gebäude wurde im Rahmen der berlin­wei­ten Räumungs­ak­tion am 22. Septem­ber 1981 geräumt, ist heute aber wieder vermie­tet. In Kreuz­berg wurde die Kahl­schlag-Sanie­rung durch die Beset­zun­gen gestoppt und es fand in der Verwal­tung ein Umden­ken statt, so dass dann doch mehr Wert auf die Rekon­stru­ie­rung und Blockent­ker­nung gelegt wurde. Im Sanie­rungs-Gebiet Wedding jedoch wurden 97% der vorge­se­he­nen Abrisse auch durch­ge­zo­gen.

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