Während große Teile der Grundstücke im Weddinger Sanierungsgebiet von der DeGeWo gekauft wurden, erhielt den Block 262, auf dem auch Meyer’s Hof stand, südlich der Ernst-Reuter-Siedlung eine der kleineren gemeinnützigen Baugesellschaften, die Alexandra-Stiftung. Diese Stiftung kaufte Meyer’s Hof von dem Sohn des Vorbesitzers, der das Grundstück mehrere Monate vorher von seinem Vater erworben hatte. Er verkaufte den Hof am 21. Juli 1965. Und anscheinend hat die Alexandra-Stiftung mit dem Gelände Großes vor, jedoch nicht mit Meyer’s Hof.

Denn am 29. September 1965 verschickte sie an alle Mieter ein gleichlautendes Schreiben, in dem diese darüber informiert wurden, dass die Mietsverhältnisse zum nächstmöglichen Termin gekündigt sind. Da die Stiftung als Sanierungsträger verpflichtet ist, den Mietern Ersatzwohnungen zu beschaffen, legte sie dem Schreiben einen Fragebogen bei. Mit dem ausgefüllten Bogen sandten manche Mieter kurze Briefe zurück, in denen sie ausführten, dass sie bereits sehr lange im Wedding wohnten, und dort auch bleiben wollten.
Mit den Entmietungen ging es dann aber doch nicht so schnell, wie die Alexandra-Stiftung sich das vorgestellt hatte. Fünf Jahre später, 1970, verzeichnet das Adressbuch noch immer 42 Mietparteien in den 82 Wohnungen in Meyer’s Hof. Einige der Wohnungen wurden in der Zwischenzeit zwangsgeräumt, weil sie für unbewohnbar erklärt worden waren. Erst am 17. Oktober 1972, sieben Jahre nach der ersten Nachricht für die Mieter, dass ihr Haus abgerissen werden soll, wurde Meyer’s Hof gesprengt. Und es dauerte nochmal ein halbes Jahr, bis das Grundstück geräumt war. Das war dann das endgültige Ende von Meyer’s Hof.

Erinnerungen an Meyer’s Hof

Die beiden folgenden Texte sind Erinnerungen ehemaliger Bewohner von Meyer’s Hof. Sie wurden komplett dem Buch „Das Berliner Mietshaus“ entnommen.

Inge und Hilla Mann:
„Der Flur hatte kein direktes Licht, die Türen waren meistens verschlossen und hatten keine Fenster. Ab 1936 gab es elektrisches Licht im Meyer’s Hof, bis dahin wurde mit Gas, Petroleum oder Kerzen beleuchtet. Seitdem hing eine trübe elektrische Glühbirne im Flur. Es war so’n richtiger Graulkorridor.
Familienfeste wurden von allen, die auf dem Flur wohnten, gemeinsam gefeiert, dann waren die Türen offen. Wir wussten doch, wie unsre Buden aussahen, wir brauchten uns doch nicht voreinander zu schämen. Keiner war besser. Das Klo lag neben der Küche, der hintere Teil war abgetrennt, das war die Speisekammer von Frau Spaldings. Darüber war das Fenster, das man mit einer Stange öffnen konnte.
Wir hatten ja nur in der Küche gelebt. Da gab’s zu essen, zu trinken, da wurde drin gewohnt. Das Schlafzimmer, das war tabu, da wurde nur drin geschlafen. Aber meine Mutti, die hat in der Küche geschlafen. Geheizt wurde nur in der Küche. Wir haben immer im Kalten geschlafen.
Küche kann man das eigentlich nicht nennen, das war so ein kleines Ding mit einem Wasserhahn. Links stand der Kochherd, so ein eisernes Ding, der wurde mit Kohle geheizt. Neben dem großen eisernen Herd stand ein Gasherd, der mit einem Schlauch an einen Automaten angeschlossen war. In den Gasautomaten musste ich immer einen Groschen reinstecken.“

Harry Kompisch:
„1924, als ich drei Jahre alt war, bekam mein Vater die Wohnung. Ich habe dort bis 1941 gelebt, bis ich eingezogen wurde, also 17 Jahre lang. Ich habe meine Kindheit dort verbracht, und ich muss sagen, es war eine wunderschöne Jugend, trotzdem es ‚Milljöh‘ war. Heutzutage würde man das keinem Menschen mehr zumuten, aber für uns Kinder war das ein Paradies zum Spielen.
Wir haben nicht geguckt, wohnt der im Vorderhaus, wohnt der im zweiten, im dritten Hof. Uns verband nur die Freundschaft und die Spielerei. Jungs und Mädels haben zusammen gespielt. Erst mit etwa 16 trennte sieh das ein bischen.
Der wichtigste Spielplatz war sicher Meyer’s Hof selbst, dann der Gartenplatz, der einen großen Buddelplatz hatte. Auf das Eisenbahn-Gelände durfte man nicht. Die Straße war auch Spielplatz. Wir sind mit dem Roller oder Rad gefahren und haben Ballspiele gemacht, vor allem Schlagball. Wenn die Straßenbahn kam, mussten wir Pause machen. Die Straßenbahn haben wir in unsere Spielfläche mit einbezogen; Auf- und Abspringen während der Fahrt, oder wir haben Knallplätzchen, mit denen wir Trapper und Indianer gespielt haben, auf die Schienen gelegt. Dann kam die Straßenbahn angekracht. Die Fahrer, die da täglich mit der 3 durchfuhren, die kannten Meyer’s Hof schon und sagten sich, jetzt musst du mal langsam fahren, die haben bestimmt wieder was auf die Schienen gelegt.
Unser Revier war der Block zwischen Acker- und Gartenstraße. Unser eigenes Revier, das hatten wir in Beschlag, das kannten wir in- und auswendig, die gegenüber liegende Straßenseite der Ackerstraße gehörte schon nicht mehr dazu. Der tiefe Wedding war der Bereich Ackerstraße, Gartenplatz, Bernauer Straße, Gartenstraße bis zum Ende hin. Der Wedding hinter der Schwindsuchtbrücke war wieder ein anderes Gebiet. Für uns endete der Wedding an der Schwindsuchtbrücke.
Die Sacknäherei im letzten Quergebäude war nur ein Stockwerk hoch, ein Flachbau, der für uns Kinder herrlich zum Spielen war. Wir sind über die Dächer gerannt, übers Nebenhaus bis hin zum sechsten Hof, da ging eine Leiter runter am Schornstein, dann waren wir auf dem Flachbau. Entweder hatten die unten im Hof Säcke gestapelt, auf die wir dann drauf gesprungen sind, oder wir sind die Regenrohre runter gerutscht. Wir konnten auch, wenn wir weiter gegangen sind, über die Dächer von Keyling & Thomas hinweg rüber bis zur Gartenstraße. Später, das muss so 1934/35 gewesen sein, wurden die Fabrikhallen ausgeräumt und einer der ersten überdachten Berliner Rummelplätze in ihnen eingerichtet. Genau unter einem Fenster lagen die Matten der Ringer; da haben wir als Kinder immer runter gespuckt und haben uns unseren Jux gemacht.
Etwa acht bis zehn Kinder aus Meyer’s Hof waren in derselbe Klasse, die Clique Meyer’s Hof hielt auch zusammen gegen Angriffe von aufen. Die Clique bedeutete Schutz, man war ja die größte Kinderzahl in der Gegend. Morgens hatten die meisten einen gemeinsamen Schulweg. Wir sind dann zur gleichen Zeit los. Einer rief den anderen runter. Da war früh immer der Appell auf dem Hof: ‚Biste fertig?Kommste runter? Wir gehen jetzt!‘ – ‚Ja, ich komme!‘. Neben meinem Zimmer war der Treppenaufgang von 132, da pochte man an die Wand, das war unser Privattelefon.
Die Schrippenkirche hatte, was wir als Kinder sehr begrüßten, eine Art Fundgrube von Sachen, die verloren gegangen waren und dort versteigert wurden. Uns interessierten damals immer Spazierstöcke, damit haben wir als Kinder Hockey und Cricket gespielt. Einer kostete einen Sechser oder einen Groschen, den habe ich meinem Vater aus dem Leib gerissen, und dann haben wir den Puck über die Straße geschoben.
Die HJ hat in Meyer’s Hof keine Kunden werben können. Gegenüber war eine Berufsschule, später hieß sie Walter-Wagnitz-Haus, da hatten die sich etabliert. Wir haben gar keinen Kontakt zu denen gehabt. Gewiss, die wollten uns auch manchmal angreifen und sind da rausmarschiert, mit Fahnen, und versuchten uns zu provozieren. Aber wir haben uns gesagt: Lass die laufen; wir sind dann unserer Wege gegangen. Also in Meyer’s Hof haben die keine großen Freunde gewinnen können.
Unser Teil der Ackerstraße und der weiter unten, hinter den Friedhöfen, die haben wenig miteinander zu tun gehabt. Der Friedhof war unsere Grenze, die Bernauer Straße. Was dahinter kam, war ein anderes Gebiet. Da unten gab es Prostitution. Im oberen Teil der Ackerstraße gab es das gar nicht. Das war ein Arbeiterviertel, da haben die nicht Fuß gefasst. Zur Markthalle ging man selten. Der Hauptgrund ist bestimmt gewesen, dass die Leute bar bezahlen mussten. Denn hier im Umkreis des Hauses in den Stammgeschäften, die wir hatten, konnte man anschreihen lassen. Und Freitag war Zahltag. Zur Markthalle in der Ackerstraße pilgerte man von Meyer’s Hof nur für bestimmte Artikel wie Fisch, den es dort frischer gab als bei uns beim Much. Der hatte zwar auch Fisch, aber der war eingelegt in großen Fässern.
Die Nazis haben keinen Fuß gefasst in Meyer’s Hof. Da war mehr die SPD und die KPD – früher sagte man ‚die rote Hochburg‘ – bis zum Mieterstreik. Der wurde ja auch von den politischen Parteien organisiert und unterstützt. Vor dem Mieterstreik, da kam der Tumarkin. Man hatte an der Brandwand zur Ackerstraße 134 über der Schlachterei Sprüche angemalt. Einem jungen Mann hatte man eine Wäscheleine umgebunden, hat einen Sitz befestigt, dann saß er wie auf einer Schaukel. Oben haben drei Mann gestanden und ihn runtergelassen, dann hat er die Wand bemalt: ‚Tumarkin kommt nach Berlin, um arme Leute auszuziehn; doch Meyer’s Hof ist auf dem Posten, und er kommt nicht auf seine Kosten‘. Das hat der an die Wand gemalt und das blieb da auch stehen. Bis die Nazis endlich drauf gestoßen sind: Das muss weg! Dann haben sie die Fassade neu gestrichen.
1933/34 haben die Nazis die bekannten Kommunisten und Sozialdemokraten rausgeholt. Vorne im Vorderhaus wohnte der jüdische Arzt Dr. Moses, die Familie ist 1935 emigriert nach Amerika. Und die Familie Sperling – die Frau war ‚Arierin‘, wie man so schön sagte, und der Mann war Jude, die Kinder waren Halbjuden, und die hat man nachher bis auf die Frau alle abgeholt. Das jüngste Kind, der Feddi, lebt heute noch, aber sein Bruder und der Vater, die sind irgendwo umgekommen. Den Sperlings-Kindern haben wir alle Kinder, mal einen Brief geschrieben, den haben wir der Mutter übergeben. Die wollte ihren Sohn besuchen, aber sie hat auch mit der Jüdischen Gemeinde Rücksprache genommen, und um uns nicht zu gefährden, hat sie den Brief nicht abgegeben.“

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