Speziell für die Bewohner rings um den Gesundbrunnen war »Die Quelle« gedacht, eine – wie man heute sagen würde – Stadtteil-Zeitung. Im Gründungsjahr 1887 kannte man diesen Begriff noch nicht, dafür wurde die »Quelle« bald um so bekannter. Nicht, dass es an Zeitungen gemangelt hätte, aber diese Zeitung hob sich doch in zwei Punkten von der Masse der damals erscheinenden Blätter ab: Zum einen vertrat sie durchaus liberale und fortschrittliche Positionen, ohne sich jedoch von irgendeiner Seite vereinnahmen zu lassen. Vor allem aber publizierte sie ihre Texte in einem Stil, der an manchen Stellen eher einer Satire-Zeitung angemessen wäre. Schon allein die Überschriften auf der Titelseite (»Generaldirektor? – Schon faul!«, »Freiheit den Ferkeln«) machten Lust auf das Lesen dieser Zeitung. Eines ihrer Lieblingsthemen war die Bürokratie, die sie oft gekonnt ins Lächerliche zog, und so mancher Politiker oder Beamte fühlte sich auf den Schlips getreten.

Bei all der kritischen Haltung gegenüber den gerade Regierenden war die »Quelle« jedoch keine erklärtermaßen oppositionelle Zeitung, nicht zu Kaisers Zeiten, nicht in der Weimarer Republik – und auch nicht in dem noch einen Jahr ihres Bestehens während der Nazizeit. Die »Quelle«, in den letzten Jahren »Norden-Rundschau – Die Quelle« war eine kritische Zeitung, die zweimal wöchentlich erschien und bei den jeweils Regierenden unbeliebt war, weil sie ständig ihre Finger auf die Wunden der Gesellschaft legte.
In den letzten Jahren der Weimarer Republik, als die Kämpfe der Parteien an Schärfe zunahmen, vollzog sie eine leichte Wende nach rechts, was ihr aber nach der Machtergreifung der Nazis auch nichts nützte. Im Frühjahr 1934 stellte sie ihr Erscheinen ein, weil das die einzige Alternative war zur Übernahme durch die Nazis.

»Jetzt müsst Ihr gehen lernen!
Die neue Verkehrsordnung ist heraus und nun soll sich jeder in acht nehmen. Die Schluderei ist vorbei, dass zum Beispiel die Leute auf der Gehbahn – so heißt jetzt der Bürgersteig – so dahin dösen. Zunächst, lieber Freund, du musst rechts gehen. Immer rechts heran. Sonst machst du dich strafbar. Du darfst auch nicht mit noch zehn Personen in einer Reihe lustwandeln. Oho, mein Lieber, da geht es dir schlecht. Du darfst deine Liebste und ihren Freund neben dir haben und nicht noch einen Freund mehr, sonst wirst du festgestellt. Wenn du die Fahrbahn überschreiten willst, dann hast du das auf dem kürzesten Weg zu tun. Keinesfalls darfst du mitten auf der Fahrbahn stehenbleiben und frühstücken. Tust du das doch, dann wirst du, falls du noch nicht totgefahren bist, ebenfalls festgestellt.
Auch auf der Gehbahn darfst du nicht stehenbleiben, das ist immer noch die Parole. Wer stehen bleibt, wird von einem Strafmandat erschossen. Stöcke und spitze Schirme oder andere spitze Gegenstände wie vergiftete Lanzen und der gleichen musst du ganz behutsam tragen, auf dass du niemandem ein Auge ausstößt oder ihn gar durchbohrst. Ja, und wenn du denkst, du darfst brennende Fackeln mit dir herumschleppen, dann bist du schief gewickelt. Papierlaternen, jawohl, die sind erlaubt. Aber auch singen darfst du dabei. Du darfst nicht die Straßenluft verunreinigen. Mit dem Staubwedel darfst du allerdings aus dem Fenster wedeln, zum Beispiel, wenn dein lieber Mann nach Hause kommt.
Willst du einen Gegenstand, der einen üblen Geruch verbreitet, aus dem Hause schaffen und zum Beispiel in die Panke werfen, dann darf das nur nachts geschehen. Es gibt Leute, die sich vor üblen Gerüchen ekeln, und die muss der Polizeipräsident schützen. Im Dunkeln kann man eben nichts riechen. Und so geht das weiter. Bände könnte man darüber schreiben, was die Verkehrsordnung den Gehbahnbenutzern empfiehlt oder verbietet. Es ist zum Heulen. Aber auch das ist verboten. Ebenso ist es verboten, dass unsere Hunde bellen. Sie dürfen nicht bellen. Nun soll man mir sagen, was soll so ein Hund, wenn er nicht bellen darf?«
[Die Quelle, 16. Januar 1929]

»Der Arbeiter
Die Morgenpost vom 27. Dezember 1928 brachte die Abbildung eines Denkmals, welches einen Arbeiter darstellen soll. Dieses Werk ist von der Städtischen Kunstdeputation angekauft worden und soll nun im Norden Berlins aufgestellt werden.
Ich bemerke hierzu, dass der Künstler wohl nicht das richtige Modell gehabt haben kann, denn ein ehrsamer Arbeiter sieht anders aus. Kein Arbeitgeber würde einen solchen Arbeiter einstellen, wie das Werk ihn zeigt. Er sieht wie eine Verhöhnung des ganzen Arbeiterstandes aus. Nun gerade im Norden, wo jeder weiß, wie Arbeiter aussehen. Darum schlage ich vor, das Denkmal im Westen Berlins aufzustellen, denn da gibt es viele Menschen, die nicht wissen, wie ein Arbeiter aussieht. G.B.«

[Leserbrief in der Quelle ]

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