Vor allem in der Umgebung der nördlichen Brunnenstraße gab es vor der Machtübernahme der Nazis eine breite antifaschistische Bewegung. Obwohl dieser Begriff missverständlich ist, denn diese »Bewegung« war nicht einheitlich und trat auch niemals geschlossen auf. Die Gegner der Nazis waren in viele Organisationen und Interessengruppen gespalten und teilweise selbst untereinander verfeindet. Zum Beispiel waren da die Kommunisten der KPD, die sich damals als einzige »wahre Antifaschisten« darstellten. Doch es gab auch Abspaltungen, die den stalinistischen Kurs der KPD nicht mitmachen wollten oder die Partei verließen, weil diese sich auf Anordnung Stalins vorübergehend nicht mehr gegen die Nazis wenden durfte und statt dessen die SPD als »Sozialfaschisten« zum eigentlichen Feind erklärte.

Auch die SPD, die ebenfalls in der Gegend um den Gesundbrunnen stark war, hatte Abspaltungen hinzunehmen, weil die Partei manchen Mitgliedern zu zahnlos und zu wenig konsequent war. Daneben existierten noch jüdische Jugendgruppen sowie christliche Initiativen und Vertreter, die den Nazis feindlich gesonnen waren. Später, in der Zeit der Naziherrschaft, gab es auch unpolitische Jugendliche, die sich gegen die von den Nazis verordneten Strukturen stellten.
Doch noch waren die Nazis nicht an der Macht und gerade der Wedding war als »rote Hochburg« Berlins verschrieen. In der Brunnenstraße mit der AEG und der weiteren Umgebung lebten besonders viele Arbeiter, so dass hier auch die Arbeiterparteien besonders stark vertreten waren. Darunter vor allem die kommunistische KPD, die sozialdemokratische SPD und die faschistische NSDAP. Alle drei Parteien bekämpften sich gegenseitig und hatten dazu ihre jeweiligen Kampforganisationen, wobei sich vor allem die SA der Nazis als eigenständige Organisation auf der Straße profilierte. 1932 wurde die SA vorübergehend verboten. Sie war es auch, die es mit ihrem Klassenkampf-Pathos schaffte, eigentlich antifaschistische Arbeiter schon vor der Machtübernahme zu den Nazis zu holen, und erst recht, nachdem ihre Partei an die Regierung kam.

In der Gegend um die Brunnenstraße gab es mehrere Schwerpunkte, an denen es regelmäßig »knallte«, vor allem zwischen den Nazis und den Kommunisten. Neben dem großen AEG-Werk zwischen der Brunnen- und der Ackerstraße waren das der Betriebshof der BVG in der Usedomer Straße sowie die verschiedenen Festsäle der Umgebung. Saal- und anschließende Straßenschlachten gab es oft am Bahnhof Gesundbrunnen, in dessen Umgebung einige Versammlungsräume der Nazis und der Kommunisten existierten. Auch bei mehreren Märschen der Faschisten durch die Putbusser und die Swinemünder Straße kam es zu Straßenkämpfen.
Der BVG-Betriebshof Usedomer Straße war für alle politischen Gruppen ein interessantes Terrain und daher auch mehrmals Schauplatz der Auseinandersetzungen. Als SA-Männer dort am 29. Mai 1931 Flugblätter der »Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation« (NSBO) verteilen wollten, wurden sie von BVG-Arbeitern mit Gewalt vertrieben. Schräg gegenüber befand sich in der Usedomer Straße 9 schon sehr früh das erste SA-Sturmlokal im Wedding, das »Grahn«. Dort, nahe der Brunnenstraße, kam es kurz darauf wieder zu schweren Auseinandersetzungen, diesmal weil die NSDAP im Wahlkampf mit der KPD aneinander geriet.
Während des SA-Verbots 1932 existierte die Organisation illegal weiter. Als Sportverein getarnt, traf man sich in den Sturmlokalen und machte auch weiterhin Jagd auf Andersdenkende, nur eben nicht in Uniform. Als das Verbot am 11. Juli ’32 durch den neuen Reichskanzler Papen wieder aufgehoben wurde, schlug die SA noch am selben Tag erbarmungslos zu: 27 Tote und 181 Schwerverletzte waren das Ergebnis.

In dieser krisengeschüttelten Zeit wurde ständig gewählt und gestreikt. Im November gab es auch bei der BVG eine Urabstimmung, bei der 65% für einen Streik votierten – doch eine offizielle Zustimmung hätte 75% erfordert. Trotzdem wurde der Streik gegen die Lohnkürzungen begonnen und es beteiligten sich auch die KPD sowie die NSDAP daran. SPD und Gewerkschaften lehnten den »wilden« Streik ab, da er unrechtmäßig sei. So kam es, dass sich die Kommunisten und die Nazis gemeinsam vor den Toren des BVG-Betriebshofes zusammenfanden. Diese kurze »Kampfgemeinschaft« funktionierte auch gegen den gemeinsamen Feind SPD: Während der Zeit der rot-braunen Streikfront verprügelten die Schläger der NSDAP und der KPD zusammen eine Gruppe Reichsbanner-Anhänger, die sich neben dem Straßenbahnhof Müllerstraße versammelt hatten, um zu einer SPD-Veranstaltung zu gehen. Allerdings war dieses Vorgehen an der KPD-Basis nicht unumstritten. Dies belegt der mangelnde Erfolg des damaligen Spitzenfunktionärs Walter Ulbricht, für diese Aktionen Unterstützer zu mobilisieren: Selbst im relativ starken Gesundbrunnen konnte er nur 30 bis 40 Kommunisten zusammenbringen. Anders als ihre Führung hatten viele der Kommunisten ein klares Verhältnis zu den Nazis, das aus den Erfahrungen mit deren Terror herrührte. Sie konnten die taktischen Manöver der Parteiführung nicht nachvollziehen.

Nachdem die Nazis am 30. Januar 1933 an die Macht kamen, waren die Kommunisten dann die ersten, die den geballten Terror abbekamen. Die KPD wurde verboten, ebenso ihre Unterorganisationen und angeschlossenen Initiativen. Die kommunistischen Abgeordneten im Reichstag und den Regional- und Lokalparlamenten verloren ihre Mandate, Tausende von Funktionären und bekannten Mitgliedern wurden verhaftet. Die SPD wurde zwar zum Teil ebenfalls von Anfang an Repressionen unterzogen, doch die Nazis ließen sich mit deren völliger Unterdrückung noch sechs Wochen Zeit. Denn für Anfang März 1933 waren Wahlen angesetzt, mit denen sich die Faschisten ganz offiziell bestätigen lassen wollten. Es war vorgesehen, dass dies für die folgenden tausend Jahre die letzte Wahl sein sollte. Das klappte zwar nicht ganz, aber es wurden immerhin noch zwölf. Die KPD konnte an dieser Wahl nicht mehr teilnehmen und auch die SPD stand schon unter massivem Druck. Manche ihrer Abgeordneten waren bereits verhaftet, untergetaucht oder in weiser Voraussicht ins Exil gegangen. Am 5. März 1933, unmittelbar vor der letzten Wahl, fand dann in der »Lichtburg« am Bahnhof Gesundbrunnen die letzte offizielle SPD-Veranstaltung im Wedding statt. Allerdings konnte sie nicht mehr zu Ende gebracht werden und musste sich bereits nach der ersten Rede auflösen.

…aus der Sicht der NSDAP

»Nach der Aufhebung des Parteiverbotes erfolgte im Mai 1928 die Gründung der Sektion Wedding. Sie hatte damals nicht mehr als 18 Parteigenossen. Eine kleine namenlose Schar. Im Herbst 1928 gab die Sektion die Parole aus: Bis Weihnachten wollen wir hundert Parteigenossen sein. Keine Mitläufer, sondern aktive Kämpfer. Dieses Ziel wurde auch erreicht. 1929 trat die Sektion Wedding zum ersten Mal auch nach außen hin in Erscheinung. Bei den Stadtverordnetenwahlen bekannten sich 7.000 Weddinger zur NSDAP. Während des Wahlkampfes war 1929 erstmalig der gesamte Gau-Sturm Berlin der SA auf dem Wedding propagandistisch eingesetzt worden. Am 14. September 1930 stiegen die Stimmen der NSDAP im Wedding auf mehr als 20.000.
Die Hitler-Jugend hatte auf dem Wedding einen besonders schweren Stand. Die marxistischen Jugend- und Sportverbände beherrschten vollkommen das Feld. Die wenigen, fast noch an einer Hand abzuzählenden Hitlerjungen, die 1928 auf dem Wedding vorhanden waren, gehörten zum Fähnlein Mitte. Die eigentliche Entwicklung der Weddinger Hitler-Jugend ging erst vom NS-Schülerbund aus, der im Mai 1929 gegründet wurde.

Es darf nicht die Weddinger SA vergessen werden. Der Sturm 17 umfasste nicht nur den gesamten Wedding, sondern auch das Gebiet um den Stettiner Bahnhof (Stadtbezirk Mitte). Aus dem Traditionssturm 17 unter dem Sturmführer Franz Zachau, dessen Sturmlokal seit jeher das bekannte Lokal Grahn in der Usedomer Straße war, entstanden zunächst drei Stürme: 40, 41 und 17, später weitere wie der Sturm 100. Der Sturm 17 gehörte zu der allen Kämpfern der NSDAP wohlbekannten Standarte IV, oftmals ‚Standarte Zackig‘ genannt.

Zusammen mit der Parteiortsgruppe Gesundbrunnen fiel dem SA-Sturm 100 die Aufgabe zu, dieses rote Gebiet aufzulockern und zu erobern. Durch die Versammlungen in den Atlantik-Sälen am Bahnhof Gesundbrunnen wurde die gesamte Kommune alarmiert. Sie versuchte mit ihren berüchtigten Kampfstaffeln die Veranstaltungsbesucher durch Einzelterror mürbe zu machen. Die Kommune versuchte durch häufige ,Protestversammlungen gegen die Hakenkreuzgefahr‘ in Schmidts Festsälen, im Volksmund Glaskiste genannt, zu retten was zu retten war. Es gab eine große Aufregung bei den Bolschewisten, als die NSDAP-Ortsgruppe Gesundbrunnen auch in diesem Lokal eine Veranstaltung abhielt. Die üblichen Tschekamethoden wurden angewandt, aber alles war vergeblich. Die Versammlung fand doch statt und die Kommune bezog von der Gesundbrunner SA wohlverdiente Prügel. Nach der Machtübernahme bezog der Sturm 100 die Glaskiste als Sturmlokal.

Im Hochsommer 1932 war die Kampfkraft der marxistischen Gegner schon so weit erlahmt, dass auf dem Gartenplatz ein Aufmarsch der SA, mit einer Kundgebung des Bezirks Norden reibungslos durchgeführt werden konnte. Im Juli 1929 konnten bei der AEG in der Brunnenstraße als auch in der Ackerstraße nationalsozialistische Zellen aufgezogen werden. Bis zur Machtübernahme hatte die NSBO auf dem Wedding 24 Betriebszellen mit 2.200 Mitgliedern.«
[aus »75 Jahre Wedding« NSDAP- Ortsgruppe Wedding]

Widerstand in den ersten Jahren

Leider hat sich nach der Zerschlagung der Naziherrschaft herausgestellt, dass es nur verhältnismäßig wenige Menschen gab, die sich aktiv gegen die Unterdrückung engagiert haben. Manche verteidigten sich vor allem selbst, weil sie aus ideologischen oder rassischen Gründen zum Feindbild der Nazis wurden. Andere setzten sich für Menschen ein, die Opfer der Faschisten wurden. In diesem Abschnitt soll beides vorgestellt werden.

Am Gesundbrunnen lebte Walter Wels, Sohn des SPD-Reichstags-Abgeordneten Otto Wels. Sein Vater stellte sich bei der Reichstags-Abstimmung zum Ermächtigungsgesetz, das der NSDAP die totale Macht im Staat garantierte, den Nazis entgegen, musste daraufhin aber aus Sicherheitsgründen das Land verlassen. Er emigrierte nach Prag, wo er mit anderen den SPD-Exilvorstand aufbaute. Walter Wels betrieb einen kleinen Lotterie-Laden und war bis zur Machtergreifung Leiter einer SPD-Abteilung am Gesundbrunnen. Nachdem sein Vater emigriert war, rächten sich die Faschisten an Walter Wels, indem sie seinen Laden enteigneten und seinen sonstigen Besitz beschlagnahmten. Damit sollte der Sohn für dem Vater büßen, er sollte gebrochen werden. Doch zusammen mit seiner Frau Luise überstand er auch die zahlreichen Hausdurchsuchungen der Gestapo, die Walter Wels – völlig zu Recht – in Verdacht hatte, illegal für die Partei zu arbeiten. Denn tatsächlich gelang es ihm mehrere Male, trotz Bespitzelungen zu seinem Vater nach Prag zu kommen und von dort illegales Material mitzubringen, das er dann in Berlin unter anderen Sozialdemokraten verteilte. Zusammen mit seiner Frau organisierte Walter Wels noch jahrelang illegale Treffen sozialdemokratischer Sympathisanten und schaffte es sogar, jüngere Menschen aus der Gegend des Gesundbrunnens mit einzubinden. Um den Kontakt zu den Freunden nicht abbrechen zu lassen, um Mut zu spenden und zu beweisen, dass man nicht allein dasteht, traf man sich außerhalb der Stadt zu Wanderungen und Gesprächen.

Ein anderes Beispiel ist die Arbeit der Brüder Werner und Gerhard Wille, die in der Behmstraße 1, unmittelbar am Bahnhof Gesundbrunnen, ihre Rechtsanwaltskanzlei hatten: Bis 1938 verteidigten sie verfolgte Antifaschisten, bis hoch zum Volksgerichtshof. Doch die Gestapo hatte vor allem Werner Wille schon lange in Verdacht, Kontakt zum Vorstand der Exil-SPD zu halten, was auch stimmte. Aber sie konnte nichts beweisen, und als sie ihn 1938 trotzdem wegen Hochverrat festnehmen und anklagen lassen wollte, war Werner Wille verschwunden. Über Frankreich gelang ihm die Flucht in die USA. Der statt dessen festgenommene Bruder Gerhard wurde nach einigen Monaten wieder freigelassen, da man ihm nichts nachweisen konnte. Jahrelange illegale Unterstützung von mehreren hundert Menschen konnten diese beiden trotz der Überwachung vor der Gestapo geheim halten!

Im selben Haus befand sich auch die Wohnung von Max Seydewitz. Dieser war ursprünglich Abgeordneter der SPD im Reichstag und gehörte in der Partei zum linken Flügel. Zusammen mit Kurt Rosenfeld und einer Reihe weiterer Sozialdemokraten verließ er 1931 die Partei und gründete die »Sozialistische Arbeiterpartei« (SAP). Als die Gestapo im März 1933 Max Seydewitz verhaften wollte, konnte er aus der Wohnung fliehen und untertauchen. Noch 1935 zählte die illegale SAP mehrere hundert Mitglieder, allerdings konnte sie im Frühjahr 1936 von der Gestapo aufgerollt werden. Trotzdem gab es noch bis zum Kriegsbeginn im Berliner Raum einzelne SAP-Gruppen, die sich trafen und den Familien verfolgter Mitglieder beistanden. Max Seydewitz wurde nach dem Krieg Ministerpräsident von Sachsen.
Ebenfalls im Norden Berlins lag bis Ende 1933 ein organisatorischer und politischer Schwerpunkt des »Internationalen Sozialistischen Kampfbunds« (ISK). Der ISK versuchte bis 1933, die verfeindeten KPD und SPD zu versöhnen. Der Berliner Leiter des ISK war Fritz Grob. Er zog 1934 nach Mitte, wo der ISK eine eigene Gaststätte betrieb. Der ISK begann mit seiner illegalen Arbeit im Herbst 1933, in Form von Klebezetteln und Flugblättern. Im April 1935 flog die Gruppe auf, der Hauptangeklagte Fritz Grob erhielt drei Jahre Zuchthaus. Ein anderer ISK’ler, der Maler Kurt Kulse aus der Swinemünder Straße 34, verbüßte über zwei Jahre Haft. Sein Bruder Werner, ebenfalls vom Gesundbrunnen, bekam eineinviertel Jahr Gefängnis.

Eine ganz andere illegale Organisationsform war die der »Rotsportler«. Nach der Zerschlagung des Arbeitersportvereins »Fichte«, und auch trotz vieler Überläufer zu den Nazis, entschloss sich eine kleine Gruppe Gesundbrunner Mitglieder zur illegalen Weiterarbeit. Sie hatten Kontakt zu einer anderen kommunistischen Gruppe, die aus Kopenhagen illegales Material bezog und an andere »Arbeitersportgruppen« weiterleitete. Die etwa 20 jungen Weddinger trafen sich im Lokal Ramlerstraße 5 Ecke Putbusser Straße, dort kamen sie als Billardkreis getarnt zusammen. Gleich um die Ecke, in der Swinemünder Straße, wurden Flugblätter gedruckt. 1935 wurde die Reichsorganisation durch einen Spitzel verraten. Die beiden Spitzenfunktionäre Rudi Rothkamm und Erwin Heuer aus der Putbusser Straße 26 wurden verhaftet und von der Gestapo gefoltert, aber sie verrieten niemanden. Trotzdem konnten über 350 Menschen verhaftet werden, davon kamen 200 vor Gericht. Von der Gesundbrunner Gruppe waren 15 Sportler betroffen, die zu Zuchthaus bis zu drei Jahren verurteilt wurden.
Und auch am Arkonaplatz in Mitte traf sich weiterhin eine ehemalige Fichte-Sportgruppe. Neben Diskussionen untereinander gab die Gruppe eine eigene Zeitung heraus und organisierte Quartiere für verfolgte Freunde. Zur Tarnung ihrer Aktivitäten und auch um noch Unentschlossene für den Widerstand zu gewinnen, traten sie dem Leichtathletikverband Astoria bei. Leider waren einige der jüngeren Mitglieder zu leichtsinnig, wodurch die gesamte Gruppe aufflog und mehrere ihrer Mitglieder verhaftet wurden.

Ab 1936 gab es sehr viele Verurteilungen von Antifaschisten aus dieser Gegend. Bekannt ist das Verfahren gegen Willi Boremski aus der Schönholzer Straße 5, weil er Untergrundschriften verbreitet hatte. Karl Pawlack aus der Strelitzer Straße 25 wurde zusammen mit zehn weiteren Kommunisten verurteilt. Ebenso Willi Kunzig (Zionskirchplatz 13) mit zwölf anderen. Insgesamt neun Antifaschisten wurden mit Leonhard Zilinski aus der Fehrbelliner Straße 40/41 angeklagt. Der Kellner Max Dierich aus der Christinenstraße 5 wurde verurteilt, weil er Propagandamaterial bezog und seine Wohnung zum Abhören des Moskauer Rundfunks zur Verfügung stellte. Ebenso der Hoteldiener Franz Vettorazzi aus der Rückertstraße 3, den man auf dem Koppenplatz mit einem Koffer voller Propagandamaterial erwischte.

Um die nördliche Brunnenstraße herum gab es 1937 eine erneute Verhaftungswelle gegen Kommunisten, vor allem im Unterbezirk Gesundbrunnen. So erwischte es im Juni ’37 den später an anderer Stelle bekannt gewordenen Erich Honecker zusammen mit Bruno Baum aus der Usedomer Straße 19, die zu zehn bzw. dreizehn Jahren Zuchthaus verurteilt wurden. Beide waren damals Funktionäre des Kommunistischen Jugendverbands KJVD. Im April 1938 wurde Willi Reinke zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, wo er dann 1942 in Brandenburg auch starb. Im Juli ’38 verurteilte das Kammergericht sechs Angeklagte wegen »Vorbereitung zum Hochverrat«, also wegen kommunistischer Propaganda, zu zwei bis drei Jahren Zuchthaus. Weitere 26 Kommunisten kamen im April 1939 vor Gericht. Sie hatten nach Treffen in der Hussitenstraße 68 im Stadtviertel Druckschriften verteilt. In drei weiteren Prozessen gegen insgesamt 24 Angeklagte des UB Gesundbrunnen wurden Zuchthausstrafen bis zu drei Jahren verhängt, die meisten wegen kommunistischer Propaganda.

Doch es gab nicht nur parteipolitisch motivierten Widerstand gegen die Nazis. Ein Beispiel von christlichem Engagement ist die Arbeit der »Bekennenden Kirche« (BK). Schon sehr früh hatte die NSDAP versucht, mit der Gründung der »Deutschen Christen« eine Art nationalsozialistische Kirche zu entwickeln. Bei den Evangelen fanden sich viele Pfarrer bereit, dort mitzuwirken, so dass die Evangelische Kirche praktisch gespalten wurde. Als Gegenpart zu den »Deutschen Christen« entstand um Pastor Martin Niemöller herum der »Pfarrernotbund«, aus dem später die BK entstand.
Zum größten Teil verlief die Spaltung der gesamten Kirche auch durch die einzelnen Gemeinden. Die Versöhnungsgemeinde in der Bernauer Straße stand mehrheitlich zur Bekennenden Kirche. Nachdem der dortige Vikar von der Kanzel aus kritisiert hatte, dass in Nazi-Deutschland Menschen ohne Urteil inhaftiert werden, und er den »Völkischen Beobachter« ein Hetzblatt nannte, wurde er für sechs Monate eingesperrt. Gleichzeitig gab es aber auch den Pfarrer Kersten, der schon mal im Braunhemd der SA predigte und einem SA-Mann seinen Revolver lieh. Die Gottesdienste und Gemeindeveranstaltungen wurden jahrelang getrennt zwischen DC- und BK-Pfarrern abgehalten, bis die beiden »bekennenden« Pfarrer Eduard Kittlaus und Erich Gallert die Gemeinde 1942 bzw. 1944 verlassen mussten.

Demgegenüber waren die Bewegungsmöglichkeiten des einzigen Bekenntnis-Pfarrers an der Friedenskirche (Ruppiner Straße) schon sehr früh extrem eingeschränkt. Pfarrer Rödiger wurde von der hier besonders radikal auftretenden Fraktion der Deutschen Christen aus der Gemeinde gedrängt. Ähnlich erging es Pfarrer Werder von der Himmelfahrt-Kirche (im Humboldthain), mehr dazu im nächsten Kapitel. Nahe dem Gesundbrunnen, in der Badstraße, wirkte der oppositionelle Jugendpfarrer Bourquin in der St. Pauls-Kirche. Auch in dieser Gemeinde gab es eine DC-Mehrheit, doch konnte Bourquin mit seinen Jungen und Mädchen noch auf das Gemeindehaus ausweichen. Zusammen mit Pfarrer Frobbe gründete er die Gruppe »Evangelium und Kirche«, in der sich engagierte Christen zusammenfanden. Ansonsten ist noch die Zionskirche zu nennen, an der schon 1931 Dietrich Bonhoeffer »seine liebe Not« mit undisziplinierten Konfirmanden aus Mitte und dem Wedding hatte. Mit Superintendent Friedrich Richter und Hermann Seedorf standen zwei Notbund-Pfarrer an der Spitze der Gemeinde.
Im Umfeld der Bekennenden Kirche, aber auch in der katholischen Kirche entwickelte sich punktuell unmittelbarer Widerstand bzw. praktische Solidarität mit Verfolgten des Naziregimes. Mehr dazu im Abschnitt »Der Krieg«.

Die Pogromnacht

Im Jahr 1938 sollte der Terror gegen die deutschen Juden einen neuen Höhepunkt erreichen. Schon seit dem Juni mussten jüdische Geschäfte gekennzeichnet sein, die Pässe der Juden erhielten ein »J« eingestempelt, und zwei Monate später wurde verkündet, dass Juden ab dem folgenden Jahr zwangsweise zusätzlich neue Vornamen annehmen mussten, die Männer »Israel«, die Frauen »Sarah«. Für den 9. November 1938 war eine besondere Aktion vorgesehen, die für die Nazis eine historische »Wiedergutmachung« sein sollte. Denn am 9. November 1918 wurde in Berlin die erste deutsche Republik ausgerufen, die bei den Nazis so verhasst war und von ihnen als »Judenrepublik« bezeichnet wurde.

Anlass für die Progromnacht war das Attentat des 17-jährigen Herschel Grünszpan auf einen Angehörigen der deutschen Botschaft in Paris, der damit gegen die Deportation seiner jüdischen Eltern protestieren wollte. Am 7.11. schoss Herschel auf den Botschaftsangehörigen Ernst von Rath, der zwei Tage später starb. So sollten »die Juden« also am 9. November ’38 dafür bezahlen, überall im Reich wurden ihre Synagogen abgefackelt, ihre Geschäfte zerstört und Tausende misshandelt, verschleppt, viele auf der Stelle ermordet. Auch die Synagoge auf dem Hof der Brunnenstraße 33 fiel dem Terror anheim, ebenso viele der jüdischen Geschäfte in der Brunnenstraße, wie auch die Kaufhäuser Tietz und Held an der Ecke Veteranenstraße bzw. Invalidenstraße, sowie Wertheim in der Rosenthaler Straße. Der Augenzeuge Erwin Reisler berichtete: »Von den eigentlichen Ereignissen bin ich völlig überrascht worden. Am Tag nach dem 9. November ging ich dann umgehend ins Stadtzentrum, um mir selbst ein Bild zu machen. Mein Ziel war die ehemalige Arbeitsstätte meiner Schwester, das Geschäft Pappelbaum in der Rosenthaler Straße. Schon ab dem Veteranenberg sah ich viele zerstörte jüdische Geschäfte. Nachts waren sie geplündert worden, tags darauf wurde wohl wegen der Weltöffentlichkeit das Plündern verboten. In der Brunnen-, Invaliden- und Rosenthaler Straße sah man die Verwüstungen. Am Veteranenberg hatte man die Kaufhäuser Jandorf (Hertie) und Held völlig zerkloppt, das Inventar war auf die Straße geworfen worden. Die Bevölkerung ging vorbei, in der Mehrheit mit blutendem Herzen.«
Herta Büttner: »Noch am Morgen danach sah ich gegen acht Uhr Nazis am Rosenthaler Platz mit langen Stangen wüten. Die Scheiben der Kaufhäuser Held und Feder waren zerschlagen, das Inventar herausgerissen. Auch Wertheim war demoliert. Man ging nur noch über Scherben. Alle, mit denen ich sprach, empfanden die Aktion als furchtbar.«

Dass es nach mehr als fünf Jahren der Nazi-Diktatur nicht zu offenem Protest gegen die Pogrome kam, ist verständlich. Denn jeder, der sich offen dagegen wandte, musste mit Angriffen oder Verhaftung rechnen. Trotzdem gab es vereinzelten Widerstand dagegen, und einer der wenigen Helden dieser Nacht war sicher der Vorsteher des Polizeireviers am Hackeschen Markt, Wilhelm Krützfeld. Zusammen mit seinem Kollegen Willi Steuck (siehe »Das Ende«) griff er ein, als die SA-Horden die große Synagoge in der Oranienburger Straße zerstören wollten. Er ließ das Gotteshaus abriegeln und durch die Feuerwehr den bereits gelegten Brand wieder löschen. So konnte diese Synagoge bis zu ihrer Zerstörung durch die alliierten Bomber gerettet werden. Der bekannte Schriftsteller Heinz Knobloch hat Wilhelm Krützfeld mit seinem Buch »Der beherzte Reviervorsteher« ein Denkmal gesetzt.

Wie sehr diese Pogromnacht und die anschließende Judenverfolgung das Gewissen der Bevölkerung belastete, haben wir bei der Recherche zu unserem Buch erlebt. Selbst die alten Leute, die diese Nacht bewusst miterlebt haben, konnten oder wollten nichts darüber sagen, teilweise spürt man heute noch die Scham darüber, dass sie damals nichts getan haben. Diejenigen großmäuligen Antifaschisten, die heutzutage Vorwürfe gegen die nichtjüdischen Bürger des Jahres 1938 erheben, weil diese die Juden nicht verteidigt haben, sollten sich glücklich schätzen, dass sie eine solche Zeit nicht erleben müssen. Es ist leicht, solche Sprüche zu klopfen, wenn man damit nichts riskiert.

Der Krieg

Als die Wehrmacht am 1. September 1939 in Polen einmarschierte, begann damit der Zweite Weltkrieg. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Deutschland keinen öffentlichen Protest mehr gegen die Nazis, große Teile des Widerstandes waren zerschlagen, die jüdische Bevölkerung völlig entrechtet. Doch weder Gestapo noch Volksgerichtshof konnten verhindern, dass es immer noch und immer wieder auch neue Strukturen gab, die sich gegen die Naziherrschaft wandten oder die die Opfer der Faschisten unterstützten.
So entstand 1941 im AEG-Werk in der Brunnenstraße eine Widerstandsgruppe um den Kommunisten Herbert Grasse. Sie berichteten in illegalen Publikationen über örtliche Missstände und riefen zur Sabotage auf. 1943 wurden in über 70 Berliner Betrieben von der Gruppe um Anton Saefkow illegale Zellen aufgebaut, auch in den AEG-Werken Brunnen-, Volta- und Ackerstraße. Saefkows Ziel war eine demokratische Volksregierung aller antifaschistischen Menschen. Durch den Verrat eines Spitzels im Juli 1944 wurde die Saefkow-Gruppe von der Gestapo verhaftet, mehr als 60 Mitglieder wurden hingerichtet.
Heinz Müller aus der Brunnenstraße 187 traf es schon früher. Der »halbjüdische« Kommunist verbüßte schon bis Ende der 30er-Jahre eine Haftstrafe wegen Widerstandsarbeit und wurde dann entlassen. Er führte seine politische Arbeit fort, hielt Kontakt zu illegal lebenden jüdischen Kommunisten sowie zum Untergrundapparat der KPD. 1942 wurde er erneut verhaftet und im Jahr darauf im KZ Auschwitz ermordet.

Kurt Klinke aus der Strelitzer Straße 18 wurde ebenfalls wegen der Arbeit der Saefkow-Gruppe verhaftet und starb unter der Folter der Gestapo. Andere überlebten die Verfolgung, wie Hugo Seidel aus dem Weinbergsweg 4. Schon in den 30er-Jahren verbüßte er eine dreijährige Zuchthausstrafe. Bei der zweiten Festnahme im Februar 1942 konnte man ihm nichts nachweisen. Er schloss sich dann einer Saefkow-Betriebsgruppe bei Osram an, wurde im August 1944 wieder verhaftet und zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Er überlebte.
Auch Jugendliche, die sich kaum noch an eine Zeit vor dem Faschismus erinnern konnten, verweigerten sich den Nazis oder leisteten sogar aktiv Widerstand gegen sie. In der Bernauer Straße zwischen Swinemünder und Ackerstraße sowie am Gesundbrunnen gab es »Edelweißpiraten«. Einer von ihnen, Karl-Heinz Kapinos, berichtete später: »Ich war in einer Gruppe, die resistent gegen die Hitlerjugend war, wir nannten uns die Edelweißpiraten. Der Wirkungsbereich unserer zwölf bis zwanzig Mann starken Gruppe erstreckte sich von Mitte bis zum Wedding. Dieser nördliche Bezirk war das besondere Zentrum. Wir in Mitte waren sehr aktiv gegen die Hitlerjugend eingestellt, jede Woche unternahm die HJ nämlich ihre Aufmärsche. Wer dabei als Jugendlicher nur am Rande stehen blieb, wurde verprügelt. Mich und andere Freunde holte man mit Fußtritten aus der Wohnung zum HJ-Dienst. Wir unternahmen verschiedene Aktionen: So warnten wir, verkleidet als HJ-Führer, am Bahnhof Friedrichstraße ankommende Jugendliche vor der HJ. Wir halfen auch Menschen, die in Not waren. Zum Beispiel durch Bombenangriffe Geschädigte oder desertierte Soldaten, die wir in unserem Unterstand versteckten. Auch einige mit »Ost« gekennzeichnete osteuropäische Zwangsarbeiter versteckten wir so lange bei uns, bis wir an neue Quartiere kamen.«

Solidarität

Eine Reihe von Solidaritätsaktionen mit den Opfern der Nazis wurden auf den vorherigen Seiten schon vorgestellt. Hier sollen noch einige weitere aufgeführt werden, die von Menschen aus der Gegend der Brunnenstraße bekannt geworden sind.
Im November 1939 zog die ehemalige Telefonistin des Fernsprechamts Mitte und KPD-Stadtverordnete Hilde Radusch mit ihrer Lebensgefährtin in die Lothringer Straße 28 (heute Torstraße). Bald darauf machten sie sich selbstständig und eröffneten einen »Privaten Mittagstisch« am Rande des von vielen Juden bewohnten Gebietes.
Hilde Radusch später: »Auch als die Bewegungsfreiheit der Juden immer brutaler eingeschränkt wurde, kamen sie an der Hintertür zu uns. Eine an die Brust gepresste Aktentasche verdeckte den Judenstern. Sie holten sich in Näpfen Essen ab. Durch Drehs bei der Abrechnung konnten wir die Juden heimlich mitverpflegen. Unsere Arbeit wurde durch das tägliche Abschiednehmen immer deprimierender. Einmal erhielt ich zum Geburtstag einen Blumenstrauß im Auftrag zweier jüdischer Schwestern überreicht, die längst deportiert worden waren und die das Geld dafür für mich hinterlegt hatten.
Erschüttert mussten wir immer öfter den Satz vernehmen: ‚Heute abend werde ich abgeholt‘. Organisiert von der Jüdischen Gemeinde mussten sie sich dann zu Beginn des Transportes in der nahen Großen Hamburger Straße melden. Herzzerreißende Szenen spielten sich damals ab. Ein Schicksal blieb mir noch namentlich in Erinnerung: Dr. Oettinger spielte mit Nazis Karten und ließ sie stets in der Hoffnung gewinnen, dadurch bei den Deportationen übrig zu bleiben. Eines Tages kam er und brachte uns seine letzten Reistüten. Er brauchte sie nun nicht mehr.«

Eine von Dr. Franz Kaufmann gegründete Hilfsorganisation für verfolgte Juden wurde 1943 zerschlagen. Kaufmann, selbst ein so genannter »Halbjude«, stand mit seiner Gruppe besonders untergetauchten Juden bei, vor allem mit falschen Papieren, Nahrungsmitteln und der Beschaffung illegaler Quartiere. In diesem Zusammenhang wurden auch zwei Arbeiterfrauen aus dem Gesundbrunnen, Putbusser Straße 36, zu Gefängnis verurteilt. Sie hatten unter anderem für verfolgte Juden Urkunden gefälscht. Kaufmann, der Leiter der Gruppe, wurde bald darauf im KZ ermordet. Eine seiner engsten Mitarbeiterinnen, Helene Jacobs, erinnert sich: »Mit Illegalität hatte ich nichts zu tun. Meine Welt ging kaputt, die wollte ich verteidigen. Ich hatte am 30. Januar 1933, als Hitler Reichskanzler wurde, mein Vaterland verloren. Besonders die antisemitischen Nürnberger Gesetze (1935), die einen Teil der Bevölkerung willkürlich aus der Gemeinschaft ausschlossen, gingen mir unter die Haut. Diesen verfolgten Menschen wollte ich helfen.«

In der Rosenthaler Straße 69 lebte Heinrich Lenkeit, der zuvor schon mehr als drei Jahre wegen illegaler Parteiarbeit für die KPD im Zuchthaus gesessen hatte. Gegen Kriegsende wurde der Keller der Wohnung ein Sammelpunkt für überlebende Antifaschisten und desertierte Soldaten. Lenkeit berichtete später: »Da der Keller gleichzeitig Durchgänge zur Linienstraße und zur Kleinen Rosenthaler Straße hatte, konnte eine größere Anzahl Menschen dort Unterschlupf finden. Am 2. Mai 1945, früh zwischen 6 und 7 Uhr, wurde es plötzlich still. Es ist kaum möglich, das auszudrücken, was die Menschen im Keller empfanden. Ich rief Frauen, Männern und Kindern zu, dass der Krieg ein Ende gefunden hätte, und ging nach oben auf die Straße…«

Nur wenige Häuser weiter, in der Rosenthaler Straße 65, betrieb Albert Voß, der frühere Jugendführer der Christlichen Gewerkschaft, ein Zigarrengeschäft. Ehemalige Aktive und Freunde der Bewegung, wie die Frauenreferentin Minna Amann und der anerkannte Sprecher christlicher Arbeiterfunktionäre, der Widerstandskämpfer Jakob Kaiser, fanden sich hier ein, tauschten Nachrichten aus und berieten sich. Als nach Jakob Kaiser gefahndet wurde, konnte er auch bei Albert Voß untertauchen.

Manchmal halfen aber auch Nachbarn beim Verstecken. Der Jude Willi Katz schaffte es viele Jahre, in mehreren Häusern in Mitte unterzutauchen. So fand er vom Januar bis September 1942 Quartier im Weinbergsweg 6 bei Moritz Moses, und ab Dezember bis zum Mai 1943 im selben Haus bei der Familie Schröder. Er überlebte den Faschismus und arbeitete danach als Sozialfürsorger bei der Jüdischen Gemeinde.

Das Ende

»Viele stürmten nun in die verstreut liegenden Bunker, die Kerkern glichen. Zwar konnte man dort nur wenig von der Lärmhölle hören, die Bomben und Flugzeuggeschwader, die sich Angriff und Gegenangriff durch die Flak lieferten, die Ohren lagen im Wattebausch. Doch wehe denen, wenn solch ein Bunker getroffen wurde! Dann gab es wohl kaum ein Überleben. Das Hitlerregime rechnete sich aus, dass die Überlebenschancen durch die Stabilität jener nun zuhauf gebauten Bunker größer sei als Wohnhäuser, die allein schon durch große Erschütterungen mancherorts wie Kartenhäuser zusammengefallen waren. Der Bürger sollte zum sichersten Ort Zuflucht nehmen können, sollte wissen, dass alles getan werde, um ihm erhöhte Sicherheit zu bieten. Die Luft darin war zum Schneiden. Dicke Mauern hielten Luftzufuhren ab, so dass nur spärliche Luftblasen übrig blieben. Dennoch jagte eine Masse Menschen schon bei Voralarm, manchmal erst während des Hauptalarms, in die Bunker, mit Koffern und Proviant.«

Man kann sich gut vorstellen, dass gegen Ende des Krieges die Klagen aus der Bevölkerung über die Auswirkungen und Ursachen des Krieges zunahmen. Zu schlecht ging es den Menschen nun: Es gab kaum noch zu essen, tagelang kamen sie nicht mehr aus den Bunkern, und wenn, dann nur für wenige Stunden. Doch die Nazis machten Jagd auf alle, die ihrem Ärger Luft machten, und sei es auch nur im kleinsten Kreis. Jede kritische Äußerung konnte mit dem Tod enden. So erging es z.B. dem 63jährigen Gustav Elfert aus der Strelitzer Straße 10. Er wurde aufgrund seiner Klagen wegen »Wehrkraftzersetzung« zum Tode verurteilt.
Der AEG-Arbeiter Wilhelm Bösch starb noch am 10. April 1945, wenige Tage vor der Befreiung. Witze über Adolf Hitler konnten als »Annäherung an den Feind« mit dem Tode bestraft werden…
Als am 22. April die Kämpfe zwischen den sowjetischen Einheiten und den SS-Truppen zwischen Gesundbrunnen und der Bernauer Straße tobten, hängte der parteilose Schneidermeister Wilhelm Schwarz in der Rheinsberger Straße 31, wie viele andere, eine weiße Fahne aus dem Fenster. Doch am 23. April mussten sich die Russen noch mal zurückziehen und Schwarz wurde auf Befehl des NSDAP-Ortsgruppenleiters Reinhardt verhaftet, öffentlich misshandelt und am Morgen des 25. April ’45 zusammen mit zwei anderen Opfern an einem Gerüst an der Zionskirche aufgehängt. Die Toten wurden zur Abschreckung drei Tage lang hängen gelassen. Ähnliches passierte in der Schwedter Straße.

Theodor Görner besaß in der Rosenthaler Straße eine Druckerei, wo er Illegalen Arbeit beschaffte. Im Laufe der Jahre konnte er zwar über 100 verfolgte Juden mit Lebensmitteln und Quartier unterstützen, trotzdem überlebten die meisten den Faschismus nicht. Über die Zerstörungen ihrer Stadt erzählte später Hanni Nörper, Tochter von Theodor Görner: »In der Elsässer Straße, dann am Rosenthaler Platz, wurden Büromöbel aus brennenden Häusern geborgen. Frankes Möbellager brannte lichterloh und hatte alle umliegenden Häuser nebenan, über die Straße und Hinterstraße mit angezündet.«
Die Flucht von Mitarbeitern aus Hitlers letztem Aufenthaltsort, dem Bunker der Reichskanzlei in der Wilhelmstraße, endete ausgerechnet im Wedding, dem alten »roten« Arbeiterbezirk. In der Nacht zum 2. Mai 1945 floh der Befehlshaber des »Führerbunkers«, Generalmajor Mohnke, über die Brunnenstraße zum Humboldthain. Dort hatte die 10. SS-Panzerdivision zuletzt ihren Gefechtsstand. Doch durch deren sinnlosen Versuch, das Dutzendjährige Reich noch um ein paar Tage zu verlängern, mussten noch mal unzählige Menschen sterben. Der Nazitrupp jedoch zog noch ein paar hundert Meter weiter und wurde dann von sowjetischen Soldaten in der Prinzenallee gefangengenommen.

[Teile dieses Abschnitts bauen auf Informationen aus der Reihe »Widerstand 1933-1945« von Hans-Rainer Sandvoß auf.]

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