Die Kirche, in der Pfarrer Kuntze tätig war, liegt in der Invalidenstraße, genau zwischen der Acker- und der Brunnenstraße. Sie wurde am 28. Juni 1835 eingeweiht und hatte die Aufgabe, die Bevölkerung des Vogtlands »seelsorgerisch zu erfassen«. Heute sind von dem im letzten Krieg zerstörten Kirchenkomplex nur noch die Umfassungsmauern sowie die Gemeindegebäude vorhanden.
Die Gründung der Gemeinde St. Elisabeth war nötig geworden, weil das Vogtland bis dahin zu der innerhalb der Stadtmauern gelegenen Sophiengemeinde gehörte. Durch den massenhaften Zuzug neuer Menschen wurde diese Kirche aber bald zu klein. Der erste Anstoß zur Gemeindegründung ging auf einen Bericht eines Dr. Thümmel über die Familienhäuser vom 11. Januar 1827 zurück, worin er eine zu erhöhende Seelsorge forderte, jedoch auch gleich seine Zweifel hinzufügte:
»…inwiefern dies am besten zu erreichen, ob durch Anlegung neuer Kirchen und Fundierung neuer Pfarren oder durch Missionäre, welche vielleicht hier ebenso als unter den Südsee-Insulanern zu bekehren bekämen – hierüber zu urteilen liegt außer meinem Bereich.«
Der Magistrat von Berlin wandte sich an das Konsistorium: »In einer neuen Eingabe von Oberbürgermeister, Bürgermeister und Rat an die kirchlichen Behörden unter dem 9. August 1827 wurde dargelegt, dass zwei neue Kirchen mit je einer Pfarrstelle für den außerhalb der Mauern gelegenen Teil der Sophiengemeinde durchaus notwendig wären, und zwar müsste die eine Kirche im Neuen Voigtland vor dem Rosenthaler Tore, die andere weiter weg auf dem Vorwerk Wedding gegründet werden.«
Die Kirchengemeinde leitete das Anliegen weiter, der König erbat vom Kultusminister Altenstein einen Bericht, den dieser am 5. Februar 1828 ablieferte. Er beziffert die Seelenzahl der Sophiengemeinde auf etwa 38.000, und so müsse er bei der Weitläufigkeit der ganzen Gegend den Bau zweier neuer Kirchen durchaus befürworten. Randbemerkungen des vortragenden Kabinettsrats Albrecht besagten, dass der König den Bau genehmigte und die Kosten aus seiner »Schatulle« anweisen lassen wollte: »Schinkel soll die Zeichnungen dazu entwerfen und zwar nur ganz einfache ohne besondere Verzierungen und ohne Türme.«
Mit der Fertigstellung der Kirche reichte Altenstein am 19. März 1835 einen Vorschlag zur Benennung der Kirche ein. Der König willigte in den Vorschlag ein, die Kirche St. Elisabeth zu nennen, nach der Mutter von Johannes dem Täufer. Die Kirchenbehörde wollte die Kirche allerdings (nach dem Jünger Matthäus) St.-Matthäi-Kirche nennen. Doch der König legte auf St. Elisabeth ganz besonderen Wert, weil er damit auch seiner Schwiegertochter, der Kronprinzessin Elisabeth, einen besonderen Dank für ihre soziale und religiöse Fürsorge erweisen wollte.
Welche Bedeutung der neuen Gemeinde St. Elisabeth von Seiten des Staates beigemessen wurde, lässt sich an der zur Einweihung erschienenen Prominenz ablesen: König Friedrich Wilhelm III., die Fürstin von Liegnitz, Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere König FW-4 mit seiner Gemahlin, der Kronprinzessin Elisabeth, Prinz Karl von Preussen sowie der Herzog Karl von Mecklenburg waren neben einer großen Zahl weiterer Vertreter des Staates und der Stadt erschienen.
Wenn man sich die Geschichte der Gemeindegründung ansieht, dann denkt man eher an eine staatliche als an eine kirchliche Gründung. Der König zahlte die Kosten des Baus der Kirche und des besoldeten Pfarrers aus seiner Schatulle, so dass die Kirche bis 1918 königliches Patronat war. Die Sophiengemeinde gab nicht einen Pfennig zur Errichtung der Elisabethkirche dazu. Auch die Pfarrhäuser wurden auf Staatskosten gebaut bzw. die Mieten für die Unterkunft der Pfarrer vom Staat übernommen. Die besondere Funktion der Kirche als Erziehungsanstalt im staatlichen Sinne, hineingesetzt in den ersten Berliner Arbeitervorort, zeigte sich auch noch hundert Jahre nach der Gründung, als nach der »Reichstagswahl und Volksabstimmung« am 29. März 1936 quer über das Eingangsportal ein Transparent aufgespannt wurde mit der Parole: »Daß wir unsere Kirche erneuern, verdanken wir dem Führer!«
1855 veröffentlichte der schon im vorigen Kapitel erwähnte Pfarrer Kuntze eine Chronik des Vogtlands, die bis heute interessant zu lesen ist. Zu seinem eigenen Job schrieb er: »Nirgends ist auf das Proletariat soviel verwandt als in den Familienhäusern. Besuchs-Vereine brachten ihnen das Wort Gottes und christliche Schriften in die Stube; man suchte sie auf jede Weise zu belehren und zum Heile zu leiten; Wohlthaten zur leiblichen Aushülfe sind in reichem Maße hier verwendet, gute Früchte sind aber nur sehr spärlich davon zum Vorschein gekommen. Die Häuser sind noch jetzt ein Sammelplatz des größten leiblichen und geistigen Elends.«
Eine Bemerkung in der späteren Chronik der Gemeinde zur 100-Jahr-Feier zeigt, dass es zwar an Einsatz nicht gefehlt hatte, aber auch, dass die Anpassung der Bewohner des Vogtlands an die Normen der bürgerlichen Gesellschaft mit den bis dahin entwickelten Methoden nicht zu erreichen war: »Von den Bewohnern wird berichtet, dass sie ihrer Natur nach jeder Verbesserung unzugänglich waren und jeder christlichen Hebung einen undurchdringlichen Wall entgegensetzten.«
Knapp sechzig Jahre nach ihrer Gründung bekam St. Elisabeth noch eine Tochter: Im Jahre 1894 wurde die Gemeinde, die zu diesem Zeitpunkt schon 54.000 Mitglieder hatte, aufgeteilt, sie war zu groß geworden. So entstand auf dem Gelände neben der Ackerstr. 37, auf dem sich der Kirchhof von St. Elisabeth befindet, ein neues Kirchengebäude. Der Zugang wurde an die Bernauer Straße gelegt und am 28. August 1894 wurde die »Versöhnungskirche« als Kirche der Tochtergemeinde von St. Elisabeth offiziell eingeweiht.
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