Zeigen, wo es lang geht

Ich weiß ja, dass ich nicht alle Stra­ßen der Stadt kenne. Von den etwa 10.000 sind mir viel­leicht 3.000 bekannt, vermut­lich mehr, so genau kann ich das nicht sagen. Eigent­lich ist das ein ganz guter Schnitt denke ich, denn ein Groß­teil der mir unbe­kann­ten Stra­ßen und Stra­ßen­na­men sind eher kleine in den Außen­be­zir­ken. In der Innen­stadt kenne ich mindes­tens 95 Prozent, in den Vier­teln am Stadt­rand sind mir fast alle größe­ren Stra­ßen und Plätze bekannt. Man sollte also meinen, dass ich mich als Taxi­fah­rer auch ohne Stadt­plan oder Navi ganz gut auskenne.

Das sahen meine beiden Fahr­gäste leider aber ganz anders. Eigent­lich war es eine leichte Übung. Eigent­lich. Am Savi­gny­platz stieg das Pärchen ein und wollte nach Schmar­gen­dorf in die Forcken­beck­straße. Als Taxi­fah­rer muss man nun zwei Dinge tun:
1. Die Straße sofort im Kopf loka­li­sie­ren, 2. den kürzes­ten Weg dahin finden, beides inner­halb weni­ger Sekun­den.

Die Forcken­beck­straße ist vom Ausgangs­punkt einige Kilo­me­ter entfernt und verläuft quer. Das bedeu­tet, dass es in diesem Fall mehrere Möglich­kei­ten zur Anfahrt gibt, je nach­dem, wohin die Fahr­gäste dort wollen. Möch­ten sie ans östli­che Ende, fährt man über Uhland- und Meck­len­bur­gi­sche Straße, fast immer gera­de­aus. Liegt das Ziel aber weiter west­lich, wählt man den Hohen­zol­lern­damm und dann entwe­der links in die Cuno­st­raße oder gera­de­aus bis zur Einmün­dung der Forcken­beck. Dort woll­ten meine Fahr­gäste hin, wört­lich: “Fast am Hohen­zol­lern­damm, bei der BSR”. Ich antwor­tete, dass wir zur BSR doch über die Uhland­straße fahren müss­ten, weil es viel kürzer ist. Nein, ich sollte gefäl­ligst über den Hohen­zol­lern­damm fahren, man würde mir schon zeigen, wie es rich­tig sei. Nun war ich aber gespannt, welche Wunder­stre­cke die beiden aus dem Hut zaubern würden.

Der geübte Taxi­fah­rer weiß, dass die kürzeste Stre­cke zum Hohen­zol­lern­damm gesperrt ist. Seit Mona­ten ist die Konstan­zer eine Baustelle, ebenso die Schlü­ter­straße. Es bleibt nur die Alter­na­tive, über die Bleib­treu­straße. Die ist aufgrund des Kopf­stein­pflas­ters zwar unan­ge­nehm zu fahren, aber alles andere wären weitere Umwege. Meine Passa­giere fingen jeden­falls schon in der Bleib­treu an zu meckern, wieso ich nicht über die Leib­niz­straße fahren würde, die wäre doch asphal­tiert und sowieso kürzer. Meinen Einwand, dass wir in der Verlän­ge­rung nicht durch die Konstan­zer kommen, quit­tierte die Dame süffi­sant mit “Das behaup­ten Sie!”

Ich bot ihr an, dort hinzu­fah­ren, damit sie sich selber davon über­zeu­gen könnte, aber das wollte sie nicht. Also fuhr ich bis zur Liet­zen­bur­ger durch, kurz rechts und wieder links in die Würt­tem­ber­gi­sche Straße. Erneut beschwerte sie sich, dass das doch die “ganz falsche Rich­tung” wäre, aber bevor ich antwor­ten konnte, bestä­tigte ihr Beglei­ter, dass dies sicher nicht der rich­tige Weg sei. Ich bot ihnen an, dass sie mir ja einen ande­ren Weg zeigen könn­ten, das woll­ten sie aber nicht. Statt­des­sen kam wieder der elende Spruch “SIE sind doch der Taxi­fah­rer!”.

Am Fehr­bel­li­ner Platz ange­kom­men ging es den Hohen­zol­lern­damm runter. Da sie anfangs gesagt hatten, dass das Ziel in der Forcken­beck­straße fast dort liegen würde, bog ich auch nicht in die Cuno­st­raße ein. Das war ein Fehler: “Wo fahren Sie denn jetzt hin? Wir müssen hier nach links!”, fauchte die Frau von der Rück­bank. Ich disku­tierte nicht mit ihr, wollte wenden, aber sie befahl mir, jetzt weiter gera­de­aus zu fahren.
Nach dem Links­ab­bie­gen in die Forcken­beck fragte ich nach der Haus­num­mer. Keine Ahnung, warum viele Fahr­gäste auf diese doch sehr eindeu­tige Frage nicht einfach die Nummer sagen, sondern: “Fahren Sie mal weiter, ich sage dann schon halt.” So auch dies­mal. Die Forcken­beck­straße ist rela­tiv lang, wir über­quer­ten die Cuno­st­raße und ich fuhr immer weiter Rich­tung Heidel­ber­ger Platz. Im Hinter­grund hörte ich aggres­si­ves Gemur­mel, verstand aber nichts.

Mitt­ler­weile waren wir an der Klein­gar­ten­ko­lo­nie Oeyn­hau­sen ange­kom­men, die schon im östli­chen Abschnitt der Straße liegt. Hier wohnt kaum jemand, außer den Gärten gibt es fast nur Gewerbe. Kurz vor der Meck­len­bur­gi­schen Straße, in der Einfahrt zur BSR, sollte ich dann halten. Da steht eines der weni­gen Wohn­häu­ser in diesem Abschnitt. Vor allem aber ist es über­haupt nicht “fast am Hohen­zol­lern­damm”, sondern ganz genau am ande­ren Ende. Der Mann war dann auch ganz stolz, als er mir sagte: “Sehen Sie, das war doch ganz einfach. Merken Sie sich den Weg.”
“OK”, grinste ich ihn an, aber er verstand die Ironie nicht.

Am Ende war die Stre­cke genau zwei Kilo­me­ter länger und das Pärchen musste rund vier Euro mehr zahlen, als wenn ich den Weg über die Uhland­straße genom­men hätte. Aber dafür hatten sie das Gefühl, einem unwis­sen­den Taxi­fah­rer mal gezeigt zu haben, wo es lang geht.

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2 Kommentare

  1. Haha­haha!
    Lieber Aro, FRÜHER hatte ich auch solche Besser­wis­ser im Auto, aber — Gott sei dank — nur sehr selten. Meis­tens waren es betrun­kene Menschen, die sich oft sehr aggres­siv verhiel­ten, da sich in diesem Zustand in der Selbst­über­schät­zung wunder­bar unge­hemmt aufre­gen können. Ich kann mir gut vorstel­len, dass so etwas heut­zu­tage öfter geschieht, dank Navi im Phone.

    Leider denken immer mehr Menschen, dass das Wissen im Netz die Reali­tät ersetzt, sie ihr Wissen schnell vergrü­ßern, viele Freunde haben und nichts verpas­sen. Dein Beispiel ist sehr anschau­lich, denn wer kennt die aktu­elle REALI­TÄT auf Berlins Stra­ßen besser als ein erfah­re­ner und GUTER Taxi­fah­rer, der Du ja nun mal bist.

    Verpasst hat dieser Pärchen mindes­tens ein nettes Gespräch, aktu­elle Infor­ma­tio­nen von einem echten, leben­di­gen Fach­mann und den Genuss einer entspann­ten Fahrt. Aber wenigs­tens haben sie dafür bezahlt und haben nun weiter­hin das Gefühl alles rich­tig zu machen…Hihihi.

    Beste Grüße vom Nach­barn

  2. Genau, die Fahr­gäste sind zufrie­den, und was man über sie denkt, werden sie nie erfah­ren.
    Ansons­ten danke schön für das Lob :-)

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